Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fast genial

Fast genial

Titel: Fast genial Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedict Wells
Vom Netzwerk:
Papa“ sagte.
    Francis hatte alle nützlichen Artikel über die
Samenbank ausgedruckt und in einer Mappe dabei. Besonders der Bericht über
Alistair Haley beschäftigte ihn. Alistair war das einzige Kind aus dem Projekt,
dessen Name öffentlich geworden war, und offenbar selbst ein Genie. Angeblich
hatte er einen iq von 189 und lebte in Kalifornien. Mit elf hätte er bereits
vier Instrumente gespielt und mehrere Sprachen beherrscht. Francis überflog den
Artikel zum wiederholten Mal. Bestimmt war dieser Alistair Haley längst für den
Nobelpreis nominiert worden. Sie hatten beide einen ähnlich klugen Vater
gehabt, doch wie unterschiedlich hatten sie sich entwickelt! Wie war das
möglich? Francis ging diese Frage nicht aus dem Kopf. Wie konnte sein Vater ein
Genie sein, während er selbst so ein Versager geworden war?
     
    Hinter Cleveland übernachteten sie in einem Days
Inn. Als Francis sein Shirt auszog, bemerkte er, wie Anne-May seinen
Oberkörper betrachtete. Als er sie ansah, senkte sie den Blick. Dann lieh sie
sich Grovers Handy und ging raus auf den Gang.
    Jetzt, wo sie weg war, zog sich auch Grover um.
Bleich und dürr stand er in einer hellblauen Unterhose im Zimmer. Francis
hatte immer das Gefühl, dass man Grover wie ein Klappfahrrad in der Mitte
zusammenfalten und ihn danach noch weiter zusammenklappen konnte, bis er in
ein Schließfach oder eine große Schublade passte.
    Nach einer Viertelstunde kam Anne-May wieder, ihre
Augen waren verweint. Grover wollte wissen, was los sei, aber Anne-May legte
den Finger auf die Lippen und verschwand im Bad. Als sie zurückkam, trug sie
nichts außer einem ärmellosen Shirt und einem Slip. Trotz seines Mitleids
gaffte Grover sie an, bis Francis ihn anstieß.
    Sie knipsten das Licht aus und redeten noch ein
wenig im Dunkeln weiter, da ihnen allen unbehaglich zumute war. Drei Vögel, die
aus dem Nest gefallen waren und weit weg von zu Hause in fremden Betten
schliefen. In dieser Nacht bekam Francis zum ersten Mal Angst, dass die Reise
nicht gut enden würde. Während Anne-May allein in ihrem Kingsize-Bett lag, teilte
er seines mit Grover, der laut vor sich hin schnarchte. Irgendwann hielt
Francis es nicht mehr aus. Er verließ das Zimmer und geisterte durch die verlassenen
Flure des Motels. Im Innenhof rauchte er zwei Zigaretten. Seine Mutter lag
jetzt vermutlich in ihrem Bett auf der Station und hatte keine Ahnung, wo ihr
Sohn steckte. Er hoffte, dass sie nicht noch mal versuchte, sich das Leben zu
nehmen, und stellte sich vor, wie gespenstisch ruhig es jetzt in der Klinik
sein musste.
    Als er zurückkam, schlief Grover noch immer.
Anne-May war jedoch wach und blickte ihn an. Der Mond schien ins Zimmer, er
konnte sie deutlich erkennen. Francis blieb in der Mitte des Raums stehen, sie
schauten einander noch immer an. Schließlich legte er sich einfach zu ihr.
Vielleicht hoffte er darauf, dass sie wieder seinen Kopf nahm und ihm durchs
Haar strich, vielleicht hoffte er auch auf mehr. Er rechnete damit, dass sie
ihn wegschickte. Aber sie rückte zur Seite und gab ihm einen Teil ihrer Decke.
    „Wo warst du?“, flüsterte sie.
    „Draußen, eine rauchen. Konnte nicht schlafen.“
    „Ja, geht mir auch so.“
    „Warum hast du vorhin geweint? Deine Eltern?“
    Aber sie wollte noch immer nicht antworten. Auf
einmal interessierte ihn brennend, wie ihr kleiner Bruder gestorben war. Er
wollte sie danach fragen, da stieß Anne-May mit ihrem Bein gegen sein Knie.
    Sie zuckte zusammen. „Du bist ganz kalt.“
    „Tut mir leid.“
    Sie musterte ihn und fuhr dabei mit ihren Fingern
über das kleine Grübchen an seinem Kinn. „Francis Dean“, flüsterte sie. „Wenn
man dich so ansieht, sollte man denken, du wärst viel selbstbewusster... Dir
sind in den letzten Jahren nicht viele gute Dinge passiert, oder?“
    Francis wollte etwas sagen, aber sein Mund war wie
ausgetrocknet. Anne-May betrachtete ihn noch immer ruhig und unbeirrt wie eine
Katze. Dann lächelte sie. „Ich weiß, was du jetzt denkst.“
    „Und das wäre?“
    „Du denkst, dass du mich gern küssen würdest.“ Sie
setzte ihre typische, überlegene Miene auf. „Das musst du dir aber aus dem Kopf
schlagen, Dean, das ist absolut nicht drin. Nur, damit das klar ist.“
    Francis musste ebenfalls lächeln. „Und wenn du
einfach mich küsst, was dann?“
    „Wenn ich dich wirklich küssen wollte, hätte ich es
längst getan.“ Sie schüttelte den Kopf. „Heute Nacht kannst du hier schlafen,
wenn du willst. Aber

Weitere Kostenlose Bücher