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Fast genial

Fast genial

Titel: Fast genial Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedict Wells
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gibt es mich. Ich bin
ein lebenspendender Mensch.“
    „Du wolltest bloß die Kohle.“
    „Willst du dich beklagen? Dann gäbe es dich nicht.“
    „Das klingt wie Erpressung.“
    „Es ist nur die Wahrheit.“
    „Trotzdem bist du ein Betrüger. Du hast all die
Frauen angelogen. Doktor, Neurochemiker, Cellospieler. Was davon ist wahr?“
    „Ehrlich gesagt: nichts. Das mit der Neurochemie
fand ich noch am besten, ich hatte damals einen Artikel darüber gelesen. Das
hatte niemand sonst in der Kartei.“
    „Und wie hast du das gemacht?“
    „Dieser Mister Monroe war so scharf auf Spender,
dass sie mich kaum überprüft haben. Ich wohnte damals in Albuquerque und kannte
einen Typen, der alles fälschen konnte. Ausweise, Dokumente, Auszeichnungen.“
    Francis dachte an Toby und seinen gefälschten
Ausweis. Waren das schon die Gene?
    „Jedenfalls konnte dieser Kerl mir alles Nötige
beschaffen, auch die neue Identität.“
    In Francis wuchs ein Gefühl der Ohnmacht. Mit jedem
Satz, den sein Vater sagte, taten sich neue Abgründe auf.
    „Neue Identität? Dann heißt du noch nicht mal Ian
Doble?“
    „Nicht ganz“, sagte er.
    „Was meinst du damit, nicht ganz?“
    „Ich heiße Iwan Doblinski!“
     
    3
     
    Sein Vater wollte noch
eine zweite Runde Eier und Speck, also spendierte Francis sie ihm. Er schaute
zum Ventilator an der Decke, dann vergrub er den Kopf in seinen Händen. Er
spürte, wie Anne-May ihm über den Rücken fuhr. Nach einer Weile richtete er
sich wieder auf. „Deinen genialen iq von 170 kann man dann wohl auch vergessen“, sagte er.
    Sein Vater trank einen Schluck Kaffee und schob sich
wieder eine Portion Rührei in den Mund. „Sag das nicht“, meinte er kauend. „Ich
habe wirklich mal einen iq -Test gemacht, und da war ich fast genial.“
    „Wieso, wie viele Punkte hattest du?“
    „Ich hatte 108.“
    „Hundertacht ?“, schrie
Francis durch die Bar. „Das ist nicht genial. Das ist dumm, das ist unter dem
Durchschnitt!“
    „Falsch“, sagte sein Vater ruhig. „Das liegt über
dem Durchschnitt. Der Durchschnitt ist hundert.“
    Er schien einfach nicht zu verstehen, dass fast
genial nicht genug war. Francis schüttelte den Kopf. Hinter diesen Lügen und
gutgelaunten Sprüchen zeichnete sich wieder das armselige und bedeutungslose
Leben ab, vor dem er hatte fliehen wollen.
    Ihm reichte es, er stand auf. „Kommt!“, sagte er zu
den anderen. „Wir gehen.“
    Sein Vater fasste ihn am Arm. „Bleib!“
    Merkwürdigerweise hatte er eine natürliche
Autorität.
    Francis setzte sich wieder hin. „Was willst du?“
    „Jetzt, wo du schon mal hier bist, kannst du dir
auch alles anhören. Vielleicht bin ich nicht der Superdad aus der Kartei, aber
dafür kann ich dir die Wahrheit erzählen.“
    Francis hätte interessiert, wie alt dieser Doble
oder Doblinski eigentlich war. Vermutlich irgendetwas zwischen vierzig und
fünfzig. Schwer zu sagen, bevor man ihn nicht durch eine Waschstraße geschickt
hatte.
    Sein Vater kratzte sich an seinem Sechstagebart. „Meine
Großeltern sind nach dem Krieg vor dem Hunger geflohen“, fing er an. „Sie sind
von Europa nach Amerika übergesiedelt, da war mein Vater noch ein Kind. Die
alten Doblinskis lernten nie Englisch und lebten als Immigranten in Pittsburgh.
Mein Vater hatte eine schwierige Kindheit, er war immer Außenseiter, quälte
sich durch schlechte Jobs, und als er neunzehn war, wurde ich geboren. Meine
Mutter war eine siebzehnjährige Ukrainerin. Mein Vater war nie da, fing an zu
saufen, er schlug mich, und bald darauf machte er sich aus dem Staub. Wir
hatten also nie Geld zu Hause, ich musste mich durchschlagen, wie schon meine
Eltern und Großeltern. Ich habe die High School abgebrochen, drei Jahre auf
einem Containerschiff gearbeitet und mir die Welt angeschaut. Ich wusste, dass
ich nie viel Geld haben würde, trotzdem habe ich versucht, das Leben zu genießen.
Ich habe Frauen geliebt, war ein passabler Schreiner und Handwerker und hielt
mich damit über Wasser, ich war auf fast jedem Kontinent, bin als Hobo Tausende
von Meilen auf Zügen durch das Land gereist, hatte gute Phasen, sogar sehr
gute, und natürlich auch schlechte. Dieses Jahr, mein Sohn, ist ein schlechtes
Jahr, aber das wird sich auch wieder ändern. Ich hatte ein paar Probleme drüben
in den usa, deshalb bin ich erst mal hier
untergetaucht. Vielleicht kehre ich bald wieder nach Albuquerque zurück.
Eventuell gehe ich auch nach Europa.“
    Er fragte die Kellnerin nach einer

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