Fast genial
Decke hing eine nackte Glühbirne,
winzige Käfer krochen unter dem Bett hervor und verschwanden in einer Ritze im
Boden. Es roch modrig, nach verfaulten Bananen und dreckiger Wäsche. Francis
war so sehr in diesem Alptraum gefangen, dass es ihm minutenlang die Sprache
verschlug.
„Willst du... Möchtest du einen Kaffee?“, fragte er
schließlich.
Sein Vater sah ihn an, es war schwer zu sagen, was
er dachte. Dann nickte er. Er ging zu einem Waschbecken in der Ecke und wusch
sich den Oberkörper und das Gesicht. Anschließend zog er ein graues Shirt an,
trank noch die Bierflasche leer und trat wieder ins Freie, wo er ihnen ein
Zeichen machte.
Francis folgte zögernd. Anne-May und Grover begleiteten
ihn, er hatte das Gefühl auseinanderzufallen, wenn sie nicht dabei wären.
Ein paar Straßen weiter befand sich eine Bar. Sie
waren die einzigen Gäste und setzten sich an einen der hinteren Tische. Anfangs
redete niemand. Francis musterte seinen Vater und suchte nach Ähnlichkeiten.
Doble schien die gleiche Körperhaltung zu haben wie er selbst, den gleichen
Blick. Es war offensichtlich, dass sie Vater und Sohn waren. Doch wieso sagte
er nichts? Mit jeder Minute, die verstrich, nahm Francis' Enttäuschung zu. Er
sah zu Grover und Anne-May, doch die schienen sich ebenso unwohl zu fühlen und
hielten ihre Blicke gesenkt.
Die Kellnerin, eine pummelige Schwarzhaarige, der
die rosa Bluse zu eng war, kam zu ihnen an den Tisch. Anne-May, Grover und
Francis bestellten nur jeweils eine Coke, sein Vater dagegen einen Kaffee,
einen frischgepressten Saft und - obwohl es bereits Nachmittag war - ein großes
Frühstück. Wahrscheinlich war er lange nicht mehr zu irgendetwas eingeladen
worden.
Während die Kellnerin in der Küche verschwand,
schaute Francis einer Fliege dabei zu, wie sie auf dem Tisch landete. Er
versuchte sie zu fangen, doch sie entwischte ihm. Da langte sein Vater einmal
zu und hatte sie. Er brachte ein gar nicht so unsympathisches Lächeln zustande,
wenn man von den zwei fehlenden Zähnen absah. Man konnte erahnen, was für ein
gutaussehender Kerl er eigentlich war. Wenn man ihm die Haare schneiden, ihn
rasieren und schick anziehen würde, wäre er noch immer dieser charmante
Paul-Newman-Typ, der wie in Der Clou alle reinlegte, dachte Francis. Seine Mutter hatte diesen
Film geliebt, und nun war sie selbst reingelegt worden.
Sein Vater deutete auf seine geschlossene Hand, in
der er die Fliege gefangen hielt. „Leben oder sterben?“, fragte er. Seine
Stimme war tief und überraschend klar.
„Leben!“
Er ließ die Fliege wieder frei. „Das Gleiche galt ja
damals auch für dich“, sagte er.
Die Kellnerin brachte die Getränke und das
Frühstück. Muffins, Speck, Eier, Waffeln. Doble fiel darüber her. Seine Laune
besserte sich, und sein Gesicht wirkte lebendiger. Er trank den Saft in einem
Zug leer.
Irgendwann hielt es Francis nicht mehr aus.
„Du bist ein Betrüger“, sagte er.
„Ich bin ein Überlebenskünstler“, erwiderte sein
Vater achselzuckend. „Ja, man sieht's.“
Doble taxierte ihn. „Mein Sohn“, sagte er dann mit
einem Lächeln. „Manchmal brauchen Menschen einfach Geld, und angenehmer als
Blut spenden war der Job allemal.“ Er schien nachzudenken. „Der Mann von der
Samenbank der Genies, dieser Walter Munchkin ...“
„Warren P. Monroe.“
„Der hat damals für jede
Samenspende, die von einer Frau ausgesucht wurde, fünftausend lockergemacht.
Fünftausend, pro Samenspende! Das war fünfzigmal mehr als bei den anderen
Samenbanken.“
Hätte Francis gerade einen Schluck Cola im Mund gehabt,
er hätte ihn ausgespuckt. „Bei den anderen Samenbanken?“, fragte er. „Wie
viele Kinder hast du denn auf diese Weise gezeugt?“
Doble zuckte mit den Schultern. „Sechzehn, siebzehn?
So genau weiß ich das nicht.“
Francis schaute zu Anne-May und Grover, die schweigend
neben ihm saßen. In was für einer Hölle war er hier gelandet.
„Und hast du sonst noch Kinder?“
„Mal hier eins und mal da eins.“
„Was soll das heißen?“
„Es sind neun, wenn du es genau wissen willst. Von
sechs Frauen, wenn ich jetzt keinen Fehler gemacht habe.“ Doble nickte ihm
kumpelhaft zu, als würden sie sich schon ewig kennen, zwei vom gleichen Schlag,
er Butch Cassidy und Francis Sundance Kid.
Als Doble den wütenden Blick seines Sohnes sah,
lenkte er ein. „Hör mal, Junge, es gibt auf dieser Welt so viele Menschen, die
keine Kinder kriegen können oder wollen, zum Ausgleich
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