Fast genial
in
die Augen, sein Vater und er. Dann stand Francis auf und ging auf die Toilette.
Ihm war übel, alles drehte sich, er wankte zum Waschbecken und schüttete sich
kaltes Wasser ins Gesicht. Im Spiegel schaute er sich an, und diesmal sah er
nicht mehr sich selbst, sondern nur ihn. Den Versager, der die Schule abgebrochen hatte und keine
Verantwortung übernahm. Er stürzte zur Kloschüssel und übergab sich.
Minuten später stand Francis noch immer in der
Toilette. Was er vorhatte, war zwar schwierig, denn er war alles andere als in
erotischer Stimmung, aber schließlich bekam er es doch hin und verrichtete sein
Werk in das Klopapier in seiner Hand.
Das Papierknäuel hinter dem Rücken haltend, ging er
zur Kellnerin und gab ihr dreißig Dollar. Er wusste nicht, was das Essen
gekostet hatte, aber es war bestimmt mehr als genug. Dann trat er an den Tisch
mit seinem Vater. Grover warf ihm einen bedauernden Blick zu.
Doblinski sprach gerade mit Anne-May, er sah ihr eindringlich
in die Augen, flirtete und redete mit all seinem Charme auf sie ein. Francis
spürte unendlichen Zorn. Mit der freien Hand schlug er so fest auf den Tisch,
dass es schepperte und der Aschenbecher einen Hüpfer machte.
„Was ist mit dir los?“, fragte sein Vater.
„Du redest nicht mit ihr“, sagte Francis leise. „Verstehst
du? Kein Wort, ich will nicht, dass du mit ihr sprichst.“ Er spürte Anne-Mays
Blick, aber er sah nicht hin.
„Hör mal...“, fing Doblinski an.
„Geht schon mal vor!“, sagte Francis zu Grover und
Anne-May. Beide standen auf und gingen langsam zum Ausgang. Bevor er ihnen
folgte, warf Francis seinem Vater das vollgewichste Klopapier auf den Tisch.
„Hier, da hast du deinen Einsatz zurück, jetzt sind
wir quitt.“
Dann verließ er die Bar.
Im Taxi saß Francis hinten neben Anne-May. Im ersten
Moment glaubte er, dass er alles gut überstanden hätte. Das war es also, dachte
er, überrascht, wie schnell alles vorbei war. Er war stolz auf seinen Abgang
und der festen Überzeugung, dass er richtig gehandelt hatte. Kurz lächelte er
sogar, als ihn die anderen fragend anschauten.
Er hatte es geschafft, er hatte seinen Vater
gesehen.
Aber dann stieg mehr und mehr die Enttäuschung in
ihm hoch. Er dachte an das, was er sich erwartet und erhofft hatte, und sah
durchs Fenster, wie die Dinge an ihm vorbeizogen. Verfallene Häuser, Menschen,
Autos, Träume.
Und auf einmal musste er weinen. Sosehr er sich auch
dagegen wehrte und ihm sein Schluchzen peinlich war, er konnte einfach nicht
damit aufhören.
Schließlich hielt er sich die Hände vors Gesicht und
drehte sich weg.
Anne-May fuhr ihm immer wieder durch die Haare und
nahm ihn in den Arm, bis sie an der amerikanischen Grenze waren.
4
Die ganze Rückfahrt über würden sie schweigen. Sie
würden in nur vier Tagen von der Westküste zur Ostküste fahren. Sie würden
stets gegen neun Uhr früh aufstehen, das Motel verlassen und losfahren, an
einer Tankstelle Burger essen, tanken und weiterfahren, bis es dunkel war, und
sich dann das nächste Motel suchen. Sie würden nicht mehr nachts trinken oder
im Pool sitzen, sie würden keine langen Unterhaltungen führen, Anne-May und
Francis würden sich nicht küssen oder miteinander schlafen. Sie würden einfach
nur unterwegs sein. Quer übers Land, durch elf Staaten. Kalifornien, Arizona, New
Mexiko, Texas, Oklahoma, Arkansas, Tennessee, Virginia, Maryland, Delaware,
New Jersey.
Nach vier Tagen würden sie ankommen, und Grover
würde den Anschiss seines Lebens bekommen, wenn sein Vater die
Kreditkartenrechnung in der Hand hielt, auf der neben Unsummen für Benzin auch
Hotelrechnungen an der Westküste auftauchten. Francis würde seine Mutter in der
Klinik besuchen, die letzten Stufen bis zur Station rennen, ihr um den Hals
fallen und sie so lange umarmen wie noch nie in seinem Leben. Anne-May und er
würden sich voneinander verabschieden, sie würde in eine andere Klinik gehen
und dort zwei Monate weiterbehandelt werden, ehe man sie entließ. Sie würden
sich auseinanderleben, anfangs noch ein paarmal telefonieren, dann immer
weniger, dann gar nicht mehr. Denn es gab nichts mehr, was sie zusammenhalten
konnte. Sie hatten gesehen, dass sie nicht zusammenpassten und dass die
Umstände gegen sie waren, weil er kein Geld hatte, weil ihre Eltern ihn nicht
akzeptieren würden, weil er zu sehr Iwan Doblinski war und zu wenig Dr. Ian
Doble.
Von alldem wusste er noch nichts, als sie Mexiko
hinter sich ließen.
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