Fast geschenkt
nicht.
Und darum gehe ich vier Tage später gegen sechs Uhr abends mit klopfendem Herzen auf den Eingang von Brandon Communications zu. Ich habe Glück: Der nette Pförtner hat Dienst. Der hat mich hier schon so oft gesehen, dass er mich einfach durchwinkt, ohne groß zu fragen, was ich hier will.
Ich verlasse den Aufzug im fünften Stock und finde den Empfang zu meiner Überraschung leer vor. Komisch. Ich warte einen Moment, dann gehe ich am Empfangstisch vorbei und wage mich in den Hauptflur. Mit jedem Schritt gehe ich langsamer - und runzle immer mehr die Stirn. Irgendetwas stimmt hier nicht. Irgendetwas ist anders.
Es ist zu ruhig. Die Firma ist wie tot. Ich sehe mich in den großen, offenen Räumen um und stelle fest, dass fast alle Stühle leer sind. Ich höre kein Telefon klingeln. Ich sehe keine Menschen herumlaufen. Es finden keine Brainstorming-Treffen statt.
Was ist hier los? Wo ist die geschäftige Atmosphäre von Brandon C geblieben? Was ist mit Lukes Firma passiert?
Als ich an der Kaffeemaschine vorbeikomme, stehen da zwei Typen, die ich halbwegs wieder erkenne, und unterhalten sich. Der eine sieht ziemlich verdrossen aus, und der andere stimmt ihm bei irgendetwas zu - ich kann nur leider nicht hören, worüber sie reden. Als ich näher komme, verstummen sie urplötzlich. Sie sehen mich neugierig an, tauschen dann viel sagende Blicke aus, gehen weg und fangen deutlich leiser wieder an zu sprechen.
Das gibt es doch gar nicht. Das ist doch nicht Brandon Communications. Hier herrscht ja eine völlig andere Atmosphäre. Man könnte meinen, das hier sei irgendeine abgeschmierte Firma, in der es niemanden mehr kümmert, was er eigentlich macht. Ich gehe zu Mels Schreibtisch, aber Mel ist - wie die meisten anderen - bereits in den Feierabend entschwunden. Mel, die sonst mindestens bis sieben Uhr bleibt, dann ein Glas Wein trinkt und sich in der Firmentoilette umzieht, um sich direkt von hier aus ins Londoner Nachtleben zu stürzen.
Ich suche rund um ihren Schreibtisch nach meinem Paket, finde es und schreibe Mel eine kurze Nachricht auf einen Post-It-Klebezettel. Dann stehe ich auf, umklammere mein Paket und sage mir, dass meine Mission jetzt erfüllt ist. Ich sollte gehen. Ich habe hier nichts mehr verloren.
Aber statt zu gehen, bleibe ich bewegungslos stehen. Und starre Lukes Bürotür an.
Lukes Büro. Da liegen bestimmt Faxe von ihm. Neuigkeiten darüber, wie es in New York läuft. Vielleicht sogar etwas über mich. Während ich das glatte Holz der Tür fixiere, werde ich fast von dem Drang überwältigt, hineinzugehen und so viel herauszufinden, wie ich nur kann.
Aber - wie genau sollte ich das tun? Seine Ordner durchforsten? Seinen Anrufbeantworter abhören? Und wenn mich jemand dabei erwischen würde?
Hin- und hergerissen stehe ich da. Einerseits weiß ich genau, dass ich nicht wirklich hineingehen und seine Sachen durchwühlen würde. Andererseits schaffe ich es schlicht und ergreifend nicht zu gehen. Und bevor ich mich zu irgendetwas entschließen kann, bewegt sich auch schon die Türklinke und ich erstarre fast vor Schock.
Ach, du Scheiße! So ein Mist! Da ist jemand drin! Da kommt jemand raus!
Völlig panisch fällt mir nichts Besseres ein, als hinter Mels Schreibtisch auf Tauchstation zu gehen. Ich mache mich ganz klein und bin so aufgeregt wie ein Kind, das Verstecken spielt. Ich höre gedämpfte Stimmen, dann geht Lukes Bürotür auf und jemand kommt heraus. Von meinem Aussichtspunkt aus kann ich nur sehen, dass dieser Jemand eine Frau ist, und dass sie diese neuen Chanel-Schuhe trägt, die ein Vermögen kosten. Ihr folgen zwei Paar männliche Beine, und gemeinsam kommen die drei den Flur entlang. Ich kann es mir nicht verkneifen, einen Blick über den Tisch hinweg zu riskieren - und natürlich. Es ist Alicia Biest-Langbein, zusammen mit Ben Bridges und einem Mann, der mir zwar bekannt vorkommt, den ich aber nicht unmittelbar einordnen kann.
Na ja, gut, das ist wohl in Ordnung so. Schließlich trägt sie hier die Verantwortung, solange Luke weg ist. Aber muss sie wirklich unbedingt sein Büro mit Beschlag belegen? Ich meine, kann sie denn nicht einen der vielen Konferenzräume benutzen?
»Tut mir Leid, dass wir uns hier treffen mussten«, höre ich sie sagen. »Das nächste Mal sehen wir uns selbstverständlich in der King Street 17.«
Sie reden weiter, bis sie die Aufzüge erreichen. Dort bleiben sie stehen, und ich bete, dass gleich alle drei verschwunden sind. Aber als sich
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