Fast geschenkt
dieTüren eines Fahrstuhls mit einem »Ping!« öffnen, steigt nur der mir bekannt vorkommende Mann ein, und Alicia und Ben kommen kurz darauf zurück.
»Ich hole nur noch eben die Unterlagen«, sagt Alicia und geht zurück in Lukes Büro, ohne die Tür hinter sich zu schließen. Ben lümmelt am Wasserspender herum, drückt auf die Knöpfe seiner Uhr und glotzt angestrengt auf das winzige Display.
O Gott, das ist ja schrecklich! Ich bin hier gefangen, bis sie gehen! Meine Knie fangen an wehzutun und ich habe das ungute Gefühl, dass sie ganz furchtbar knacken werden, sobald ich mich auch nur einen Zentimeter bewege. Und was, wenn Ben und Alicia die ganze Nacht hier bleiben? Was, wenn sie zu Mels Schreibtisch kommen? Was, wenn sie plötzlich auf die Idee kommen, auf Mels Schreibtisch zu vögeln!
»Gut«, sagt Alicia, als sie wieder in der Tür erscheint. »Ich glaube, das war‘s. War ein gutes Meeting, finde ich.«
»Kann sein.« Ben sieht von seiner Uhr auf. »Meinst du, das stimmt, was Frank gesagt hat? Meinst du, er wird uns verklagen?«
Frank! Natürlich! Der andere Mann war Frank Harper. Der Publicity-Fritze von der Bank of London. Den habe ich doch immer auf Pressekonferenzen gesehen.
»Er verklagt uns nicht«, entgegnet Alicia ganz ruhig. »Das würde einen viel zu großen Gesichtsverlust bedeuten.«
»Aber er hat ja schon einiges an Gesicht verloren«, sagt Ben und zieht die Augenbrauen hoch. »Wenn das so weitergeht, ist er bald unsichtbar.«
»Schön gesagt.« Alicia grinst ihn an. Sie wirft einen Blick auf den Stapel Ordner unter ihrem Arm. »Habe ich alles? Ich glaube schon. Gut, ich gehe dann jetzt, Ed wartet bestimmt schon auf mich. Bis morgen.«
Sie gehen den Flur entlang zu den Aufzügen, und dieses Mal steigen sie - Gott sei Dank! - beide in einen ein. Als ich mir ganz sicher bin, dass sie weg sind, setze ich mich endlich etwas bequemer hin. Tausend Fragen rasen mir durch den Kopf. Was ist hier los? Warum sprechen sie davon, dass sie verklagt werden sollen? Weswegen denn? Und warum war die Bank of London hier?
Will die Bank of London Luke verklagen?
Ich bleibe eine Weile einfach sitzen und versuche, Klarheit in die Sache zu bringen. Aber ich komme nicht wirklich weiter - und auf einmal habe ich das Gefühl, ich sollte machen, dass ich da rauskomme, solange ich kann. Ich stehe auf, zucke zusammen, weil ich einen Krampf im Fuß habe, und schüttle meine Beine aus, damit das Blut wieder zirkulieren kann. Dann nehme ich mein Paket und gehe so lässig wie möglich auf die Aufzüge zu. In dem Moment, in dem ich auf den Knopf drücke, klingelt das Handy in meiner Tasche und ich fahre zu Tode erschrocken zusammen. Ach, du meine Güte, mein Telefon! Gott sei Dank hat das nicht geklingelt, als ich mich hinter Mels Schreibtisch versteckt habe!
»Hallo?«, melde ich mich, als ich in den Aufzug einsteige.
»Bex! Ich bin‘s, Suze!«
»Suze!«, sage ich und muss kichern. »Das war aber knapp, kann ich dir sagen! Wenn du fünf Minuten früher angerufen hättest, wäre ich...«
»Bex, jetzt hör mal zu«, unterbricht Suze mich. »Hier hat gerade jemand für dich angerufen.«
»Aha?« Ich drücke auf Erdgeschoss. »Und wer?«
»Zelda von Morning Coffee! Sie will mit dir sprechen! Sie hat gefragt, ob du Lust hättest, morgen auf die Schnelle mit ihr Mittag zu essen?«
In dieser Nacht mache ich kaum ein Auge zu. Suze und ich bleiben lange auf, um gemeinsam zu beschließen, was ich anziehen soll, und als ich endlich ins Bett gehe, liege ich wach, sehe stundenlang zur Decke und kann meine Gedanken kaum zügeln. Ob sie mir jetzt doch wieder meinen alten Job anbieten? Oder einen anderen Job? Vielleicht soll ich ja befördert werden! Vielleicht bekomme ich meine eigene Show!
In den frühen Morgenstunden haben sich die wildesten Fantasien ausgetobt und den Blick auf die schlichte Wahrheit wieder freigegeben. Und die Wahrheit ist, dass ich einfach nur in meinen alten Job zurück möchte. Ich will meiner Mutter sagen können, dass sie jetzt wieder Morning Coffee gucken kann. Ich will alle meine Schulden bezahlen ... und ich will noch mal ganz von vorn anfangen. Noch eine Chance. Ich will noch eine Chance.
»Siehst du?«, sagt Suze, als ich mich am nächsten Morgen fertig mache. »Siehst du? Ich wusste, dass sie dich zurückholen würden! Diese Cläre Edwards ist Schrott! Absoluter, unmöglicher -«
»Suze«, unterbreche ich sie. »Wie sehe ich aus?«
»Sehr gut«, sagt Suze und mustert mich bewundernd von
Weitere Kostenlose Bücher