Fast geschenkt
ob er...«
Und ohne noch irgend jemanden direkt anzusehen, gehe ich rückwärts aus dem Zelt.
»Die ist doch nicht ganz dicht!«, höre ich Lucy sagen. »Also, wirklich, Tom, die ist ja gemeingefährlich!«
»Sie sind gemeingefährlich, junges Fräulein!«, höre ich Mum mit bebender Stimme parieren. »Janice, ich begreife nicht, wie du es zulassen kannst, dass deine Schwiegertochter sich so ungehobelt und taktlos aufführt! Becky ist seit so vielen Jahren gut mit euch befreundet. Und auch mit dir, Tom, der du da herumstehst, als wenn das alles gar nichts mit dir zu tun hätte. Und das ist der Dank dafür. So behandelt man doch keine Freunde. Komm, Graham. Wir gehen.«
Kurz darauf sehe ich Mum mit ihrem limettengrünen Hut auf dem Kopf und Dad im Schlepptau aus dem Zelt stelzen. Sie gehen schnurstracks auf unsere Einfahrt zu, und ich weiß genau, dass sie sich mit einer beruhigenden Tasse Tee in unsere Küche setzen werden.
Aber ich gehe ihnen nicht nach. Ich will jetzt niemanden sehen. Niemanden. Ich will allein sein.
Ich verziehe mich an das andere Ende des Gartens. Als ich weit genug weg bin, lasse ich mich aufs Gras sinken, vergrabe mein Gesicht in den Händen - und spüre zum ersten Mal heute, wie mir die Tränen über die Wangen laufen.
Es hätte so ein schöner Tag werden sollen. Es hätte so eine heitere, lustige Feier werden sollen. Zu sehen, wie Tom heiratet. Luke meinen Eltern und allen unseren Freunden vorzustellen. Die ganze Nacht mit ihm zu tanzen... und stattdessen war alles eine einzige Katastrophe für alle Beteiligten. Für Mum, Dad, Janice, Martin... sogar Lucy und Tom tun mir Leid. Ich meine, sie hätten sicher auch gerne auf die ganze Unruhe an ihrem Hochzeitstag verzichtet, oder?
Bewegungslos sitze ich da und starre zu Boden. Aus dem Festzelt höre ich eine Band spielen und wie Lucy jemanden herumkommandiert. Ein paar Kinder spielen im Garten Ball. Ab und zu landet er in meiner Nähe, aber ich rühre mich nicht. Ich wünschte, ich könnte für immer hier sitzen bleiben und müsste niemanden von denen jemals wieder sehen.
Und dann höre ich, wie jemand ganz sanft meinen Namen ruft.
Zuerst glaube ich ja, dass Lucy Recht hat und ich mir einbilde, Stimmen zu hören. Aber als ich aufsehe, macht mein Herz einen riesigen Sprung und ich habe plötzlich einen dicken Kloß im Hals. Das glaube ich nicht.
Luke.
Luke kommt über den Rasen auf mich zu. Ich glaube, ich träume. Er trägt einen Cut und hält zwei Gläser Sekt in der Hand. Er hat noch nie so gut ausgesehen.
»Es tut mir Leid«, sagt er, als er vor mir steht. »Es tut mir so unendlich Leid. Vier Stunden Verspätung sind... na ja, unverzeihlich, würde ich sagen.« Er schüttelt den Kopf.
Benommen sehe ich zu ihm auf. Ich hatte wirklich schon fast geglaubt, dass Lucy Recht hatte und Luke nur in meiner Fantasiewelt existierte.
»Wurdest du... aufgehalten?«, frage ich schließlich.
»Einer der Passagiere hatte einen Herzinfarkt. Das Flugzeug wurde umgeleitet...« Er runzelt die Stirn. »Aber ich habe doch eine Nachricht auf deiner Mailbox hinterlassen, sobald ich konnte. Hast du die nicht bekommen?«
Oh, mein Gott. Mein Handy. Wie konnte ich das nur vergessen? Ich sehe schnell nach und... klar, die Nachrichtenanzeige blinkt fröhlich vor sich hin.
»Nein, habe ich nicht«, sage ich und starre das Display an. »Habe ich nicht. Ich dachte...«
Ich verstumme und schüttle den Kopf. Ich weiß auch nicht mehr, was ich dachte. Habe ich wirklich geglaubt, dass Luke absichtlich nicht kommen würde?
»Alles in Ordnung?« Luke setzt sich neben mich und reicht mir ein Glas. Er streicht mir mit einem Finger über das Gesicht und ich zucke zusammen.
»Nein«, sage ich und reibe mir über die Wange. »Da du schon fragst, nein, es ist nicht alles in Ordnung. Du hast versprochen, dass du hier sein würdest. Du hast es versprochen, Luke.«
»Ich bin doch hier.«
»Du weißt genau, was ich meine.« Unglücklich schlinge ich die Arme um meine Knie. »Ich wollte, dass du zur Trauung hier bist, und nicht erst, wenn alles fast vorbei ist. Ich wollte, dass dich alle kennen lernen, dass man uns zusammen sieht...« Meine Stimme droht zu versagen. »Und es war alles so... furchtbar! Alle glauben, dass ich hinter dem Bräutigam her bin -«
»Hinter dem Bräutigam?« Luke sieht mich ungläubig an. »Du meinst diese bleichgesichtige Nullität namens Tom?«
»Ja, genau den.« Ich muss unwillkürlich ein bisschen kichern, als ich Lukes Gesicht sehe. »Du
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