Fast geschenkt
altes Zimmer und lasse mich auf das Bett sinken. Ich versuche, all die schlimmen Gedanken abzuwehren, die sich in meine Gehirnwindungen einschleichen wollen.
Er kommt, sage ich mir immer wieder. Er ist nur... noch unterwegs.
Durchs Fenster sehe ich, wie Tom und Lucy und die Gäste langsam den Nachbargarten bevölkern. Sekt reichende Kellnerinnen, Cutaways und Hüte bestimmen das Bild. Sieht alles richtig vergnügt aus. Ich weiß, dass ich da unten sein und mitfeiern sollte - aber ich packe das einfach nicht. Nicht ohne Luke. Nicht ganz allein.
Doch nachdem ich eine Weile auf meinem Bett gesessen habe, fällt mir ein, dass meine Abwesenheit nur Öl in ihr Intrigenfeuer gießen würde. Sie würden glauben, dass ich den Anblick des glücklichen Paares nicht ertragen kann und mir irgendwo die Pulsadern aufschneide. Sie würden ihren Verdacht nur bestätigt sehen. Ich muss da runter. Ich muss mich zeigen. Und wenn es nur für eine halbe Stunde ist.
Ich zwinge mich aufzustehen, atme tief durch und ziehe meinen Lippenstift nach. Dann gehe ich aus dem Haus und rüber zu den Websters. Ich schlüpfe unauffällig durch einen Seiteneingang in das Festzelt, dann bleibe ich erst einmal stehen und sehe mich um. Es herrscht ein reges Kommen und Gehen und ein so großes Hallo, dass mich niemand bemerkt. In der Nähe des Eingangs stehen die Gratulanten bei Tom, Lucy und den jeweiligen Eltern an, aber ich werde den Teufel tun und mich da einreihen! Ich setze mich stattdessen an einen freien Tisch und bekomme schon nach kurzer Zeit von einer der Kellnerinnen ein Glas Sekt serviert.
Ich sitze eine ganze Weile einfach nur da, nippe an meinem Drink, beobachte die Leute und entspanne mich ein wenig. Dann raschelt es. Mein Blick geht nach oben - und das Herz rutscht mir in die Hose. Direkt vor mir steht, in ihrem wunderschönen Brautkleid, Lucy, und neben ihr eine ziemlich große Brautjungfer in einem ihr wenig schmeichelnden Grün. (Was doch ziemlich viel über Lucy aussagt, wie ich finde.)
»Hallo Rebecca«, flötet Lucy - und ich weiß genau, dass sie sich insgeheim selbst dazu gratuliert, gegenüber der bekloppten Schnalle, die fast ihre Hochzeit ruiniert hätte, so viel Höflichkeit an den Tag zu legen.
»Hi«, sage ich. »Lucy, es tut mir aufrichtig Leid, was da während des Gottesdienstes passiert ist. Ich wollte wirklich nicht...«
»Macht doch nichts«, winkt Lucy ab und lächelt mich verkrampft an. »Jetzt sind Tom und ich ja verheiratet. Das ist die Hauptsache.« Sie wirft einen hoch zufriedenen Blick auf den Ring an ihrer Hand.
»Stimmt!«, sage ich. »Herzlichen Glückwunsch. Fahrt ihr jetzt in die -«
»Wir haben uns nur gerade gefragt«, unterbricht sie mich zuckersüß, »ob Luke wohl schon da ist?«
Das darf doch nicht wahr sein!
»Ach«, sage ich, um Zeit zu gewinnen. »Na ja...«
»Ich meine nur - Mummy hat gesagt, du hättest ihr erzählt, er wäre in einer halben Stunde hier. Und jetzt ist er immer noch nicht da! Bisschen komisch, oder?« Sie zieht ganz unschuldig die Augenbrauen hoch, und ihre Brautjungfer kann sich ein schnaubendes Lachen nicht verkneifen. Über Lucys Schulter hinweg sehe ich ein paar Meter entfernt Angela Harrison neben Tom stehen. Wie ein Luchs beobachtet sie uns. Die Häme steht ihr ins Gesicht geschrieben. Das hier muss ihnen ja wirklich wahnsinnigen Spaß machen.
»Schließlich ist das doch schon... gut zwei Stunden her“, sagt Lucy. »Mindestens! Wenn er also immer noch nicht hier ist, ist das doch ein winziges bisschen seltsam.« Sie sieht mich pseudobesorgt an. »Vielleicht hat er ja einen Unfall gehabt. Oder er ist aufgehalten worden in... Zürich. Oder wo war er doch gleich?«
Ich sehe in ihr selbstgefälliges, spöttisches Gesicht und begreife zum ersten Mal, was »Gewaltfantasien« sind.
»Er ist hier«, höre ich mich sagen.
Erstauntes Schweigen. Lucy und ihre Brautjungfer sehen sich an, während ich einen großen Schluck Sekt trinke.
»Er ist hier?«, fragt Lucy schließlich. »Du meinst... hier, auf der Hochzeit?«
»Ja, natürlich! Er ist... er ist schon eine ganze Weile hier.«
»Aber wo denn? Wo ist er?«
»Ja, also... gerade war er noch hier...« Ich deute auf den leeren Stuhl neben mir. »Hast du ihn denn nicht gesehen?«
»Nein!« Lucys Augen weiten sich. »Und wo ist er jetzt?« Hektisch sieht sie sich im Zelt um.
»Da drüben«, sage ich und zeige mitten in die Menge. »Er hat einen Cut an...«
»Und? Was noch?«
»Und er... hat ein Sektglas in der
Weitere Kostenlose Bücher