Fast geschenkt
aufstellen zum Gruppenfoto!«, verkündet Lucy und rauscht auf mich zu. »Alle aufstellen bitte. Wo ist Luke?«
»Der redet gerade mit irgendeinem Typen über Hauspreise«, gebe ich prompt zur Antwort. »Ich habe ihn zuletzt drüben bei den Getränken gesehen.«
»Na, dann stell ihn mir jetzt aber auch endlich mal vor«, sagt Lucy. »Ich habe ihn ja immer noch nicht kennen gelernt.«
»Okay!«, sage ich und lächle sie fröhlich an. »Sobald ich ihn gefunden habe!« Ich trinke einen Schluck Sekt, blicke auf - und sehe Mum in ihrem limettengrünen Outfit auf mich zukommen.
O Gott. Bis jetzt habe ich es souverän geschafft, ihr und Dad vollkommen aus dem Weg zu gehen - und zwar indem ich stets die Flucht ergriffen habe, wenn sie sich mir näherten. Ich weiß, das ist nicht besonders nett von mir - aber ich weiß auch, dass ich es nicht fertig bringe, Mum anzulügen. Ich schlüpfe also schnellstens aus dem Zelt und steuere den Gartenschuppen an, wobei ich der Assistentin des Fotografen ausweichen muss, die gerade alle Kinder um sich versammelt. Ich setze mich hinter einen Baum, trinke meinen Sekt aus und starre blicklos in den blauen Nachmittagshimmel.
Und dort bleibe ich erst einmal ein Weilchen sitzen. Stunden, glaube ich. Bis meine Beine wehtun und der Wind etwas zu kühl wird. Ich rapple mich also wieder auf, schlendere zurück und schlüpfe unauffällig ins Zelt. Viel länger werde ich jetzt nicht mehr bleiben. Ich werde mir nur noch ein Stück vom Hochzeitskuchen und ein Glas Sekt genehmigen, und dann...
»Da ist sie!«, ertönt eine Stimme hinter mir.
Ich erstarre. Dann drehe ich mich langsam um. Mich packt das blanke Entsetzen: Die gesamte Hochzeitsgesellschaft hat sich in fein säuberlichen Reihen in der Mitte des Festzeltes aufgestellt und der Fotograf fummelt an seinem Stativ herum.
»Becky, wo ist Luke?«, fragt Lucy bissig. »Wir möchten gerne alle Gäste auf dem Foto haben.«
Mist. Mist.
»Ähmmm...« Ich schlucke und versuche, ganz locker zu bleiben. »Im Haus vielleicht?«
»Nein«, sagt Kate, die Brautjungfer. »Da habe ich gerade nachgesehen.«
»Ja, dann wird er wohl... im Garten sein.«
»Aber du warst doch gerade im Garten«, sagt Lucy und kneift die Augen zusammen. »Hast du ihn denn nicht gesehen?«
»Ahm... Ich bin mir nicht sicher.« Ich sehe mich hektisch im Zelt um und würde am liebsten so tun, als würde ich ihn wieder mal irgendwo ganz weit hinten entdecken. Aber ohne das rege Treiben der anderen Gäste ist das nicht so einfach. Warum können die denn nicht einfach wieder alle durcheinander laufen?
»Irgendwo muss er doch sein!«, ruft eine Frau beschwingt. »Wer hat ihn denn zuletzt gesehen?«
Totenstille. Zweihundert Menschen glotzen mich an. Ich begegne Mums besorgtem Blick und weiche ihm ganz schnell wieder aus.
»Ach...« Ich räuspere mich. »Jetzt fällt es mir wieder ein! Er hatte mir gesagt, dass er Kopfschmerzen hätte. Vielleicht ist er -«
»Wer hat ihn denn überhaupt gesehen?«, schneidet Lucy mir das Wort ab. Sie sieht sich unter den versammelten Gästen um. »Wer von euch kann von sich behaupten, Luke Brandon in Fleisch und Blut gesehen zu haben? Wer?«
»Ich!«, krächzt ein wackeliges Stimmchen von hinten. »Ein so gut aussehender junger Mann...«
»Außer Toms Oma«, sagt Lucy und verdreht die Augen. »Also?«
Schon wieder Schweigen.
»Ich habe seine Cut-Jacke gesehen«, wagt Janice sich schüchtern hervor. »Aber nicht... nicht ihn selbst«, flüstert sie.
»Ich hab‘s gewusst. Ich hab‘s gewusst!«, triumphiert Lucy lautstark. »Er ist nämlich nie hier gewesen, stimmt‘s?«
»Natürlich war er hier!« Ich bemühe mich sehr, überzeugend zu klingen. »Ich vermute, er ist nur eben -«
»Du bist überhaupt nicht mit Luke Brandon zusammen, stimmt‘s?« Ihre Stimme peitscht durch das Zelt. »Das hast du dir doch alles bloß ausgedacht! Das gibt es alles doch bloß in deiner armseligen kleinen Fantasiewelt!«
»Das ist nicht wahr!« Entsetzt muss ich feststellen, dass meine Stimme völlig belegt ist und mir Tränen in die Augen schießen. »Das ist nicht wahr! Luke und ich sind zusammen!«
Aber als ich die vielen auf mich gerichteten Gesichter sehe - einige von ihnen feindselig, andere erstaunt, wieder andere amüsiert -, bin ich mir dessen gar nicht mehr so sicher. Ich meine, wenn wir zusammen wären, wäre er ja wohl hier, oder? Er wäre hier, bei mir.
»Ich glaube...«, sage ich mit zitternder Stimme, »ich glaube, ich sehe mal eben nach,
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