Fast geschenkt
meinen Überziehungsbedarf. Was soll ich denn bloß ohne ihn tun?
»Sind Sie nicht ein bisschen zu jung, um in Rente zu gehen?«, frage ich und kann meine Bestürzung kaum verbergen. »Glauben Sie nicht, dass Sie sich furchtbar langweilen werden?« Er lehnt sich zurück und trinkt einen Schluck Espresso.
»Ich will ja nicht vollständig aufhören zu arbeiten. Aber ich finde, das Leben hat mehr zu bieten als die Bankkonten anderer Leute. So faszinierend einige von ihnen auch sein mögen.«
»Ja... ahm. Ja, natürlich. Und ich freue mich natürlich für Sie, ehrlich.« Ich zucke verlegen mit den Schultern. »Aber ich... werde Sie vermissen.«
»Ob Sie‘s glauben oder nicht«, sagt er und lächelt dabei ein klein wenig, »ich werde Sie auch vermissen, Ms. Bloomwood. Ihr Konto war mit Sicherheit eines der... interessantesten, mit denen ich zu tun hatte.«
Er sieht mich durchdringend an und ich merke, wie ich leicht erröte. Warum muss er mich an die Vergangenheit erinnern? Das ist doch alles vorbei. Ich bin ein neuer Mensch. Man wird doch wohl ein Kapitel seines Lebens abschließen und ein ganz neues anfangen dürfen, oder?
»Sie kommen ja richtig groß raus im Fernsehen«, sagt er und trinkt noch einen Schluck Espresso.
»Ja, ist das nicht toll? Und die Bezahlung ist wirklich ausgesprochen gut«, füge ich spitz hinzu.
»Ihr Einkommen ist in der Tat deutlich gestiegen in den letzten Monaten.« Er stellt seine Tasse ab und mir sinkt das Herz. »Nichtsdestoweniger...«
Ich hab‘s gewusst. Warum muss er jedes Mal mit einem »nichtsdestoweniger« kommen? Warum kann er sich nicht einfach für mich freuen?
»Nichtsdestoweniger«, wiederholt Derek Smeath, »sind auch Ihre Ausgaben gestiegen. Erheblich sogar. Kurz gesagt, Sie haben Ihr Konto zurzeit stärker überzogen als damals auf der Höhe Ihrer... nun, sagen wir, Ihrer Exzesse.«
Exzesse? Wie gemein.
»Sie müssen sich wirklich mehr bemühen, Ihren Disporahmen einzuhalten, Ms. Bloomwood. Oder noch besser: Ihr Konto auszugleichen.«
»Ich weiß«, sage ich lahm. »Will ich ja auch.«
Da entdecke ich auf der anderen Straßenseite eine Frau mit einer LK-Bennett-Tüte in der Hand. Mit einer großen LK-Bennett-Tüte. Mit zwei Schuhkartons darin.
Wenn sie zwei Paar Schuhe kaufen darf, wieso darf ich das dann nicht auch? Wo steht geschrieben, dass man nur ein Paar Schuhe auf einmal kaufen darf? Das ist doch der Gipfel der Willkür!
»Wie sieht es denn sonst aus?«, erkundigt sich Mr. Smeath. »Ihre Kundenkarten zum Beispiel? Sind die belastet?«
»Nein«, sage ich mit einem Anflug von Süffisanz. »Die habe ich alle schon vor Monaten ausgeglichen.«
‚Und seitdem haben Sie kein Geld mehr ausgegeben?«
»Kaum. Nur für Kleinkram.«
Denn was sind schon 90 Pfund? In der kosmischen Gesamtheit betrachtet?
»Ich stelle Ihnen diese Fragen, Ms. Bloomwood, weil ich Sie warnen möchte. In der Endwich Bank finden einige Umstrukturierungen statt, und mein Nachfolger, John Gavin, geht möglicherweise nicht ganz so lax wie ich mit Konten wie Ihrem um. Ich bin mir nicht sicher, ob Sie überhaupt wissen, wie ausgesprochen nachsichtig ich Sie immer behandelt habe.«
»Ach ja?« Ich höre ihm gar nicht richtig zu.
Ich meine, wenn ich zum Beispiel rauchen würde, gäbe ich doch in null Komma nichts 90 Pfund für Zigaretten aus, ohne darüber nachzudenken, oder?
Ha! Und wenn man erst bedenkt, wie viel Geld ich schon dadurch gespart habe, dass ich nicht rauche! Das reicht doch locker, um ein kleines Paar Schuhe zu kaufen.
»Er ist ein fähiger Mann«, erzählt Derek Smeath. »Aber auch sehr... rigoros. Flexibilität gehört nicht zu seinen herausragenden Eigenschaften.«
»Okay«, sage ich und nicke abwesend.
»Ich würde Ihnen daher dringend empfehlen, Ihr Konto umgehend auszugleichen.« Er trinkt einen Schluck Kaffee. »Sagen Sie, haben Sie eigentlich inzwischen etwas in Sachen Privatrente unternommen?«
»Ahm... Ich habe mich mit dem unabhängigen Rentenberater getroffen, den Sie mir empfohlen hatten.«
»Und haben Sie auch schon welche von den Formularen ausgefüllt?«
Nur äußerst widerwillig wende ich meine Aufmerksamkeit wieder ihm zu.
»Im Moment bin ich noch damit beschäftigt, die verschiedenen Möglichkeiten abzuwägen«, sage ich und setze mein weises Finanzexpertinnen-Gesicht auf. »Es gibt ja nichts Schlimmeres, als unüberlegt eine falsche Investition zu tätigen. Vor allem, wenn es um etwas so ungemein Wichtiges wie die private Altersvorsorge
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