Faszination Menschenfresser
Anonymität des Elendsviertels heraus.
Eigentlich ist es ein Wunder, dass das Mörderkrokodil noch lebt. Einer gern erzählten Geschichte nach sollen burundische Soldaten nämlich mehrfach aus nächster Nähe mit Maschinenpistolen das Feuer auf Gustave eröffnet haben. Ohne jeden Erfolg: »Gustave hat die Kugeln einfach verschluckt«, lautet die gängige Erklärung vieler Dorfbewohner für die vermeintliche Kugelfestigkeit des gefürchteten Krokodils. Auf der anderen Seite berichten zahlreiche Augenzeugen übereinstimmend von ungewöhnlichen narbigen Wülsten am Schädel und an der rechten Körperseite von Gustave. Wülste, die durchaus auch von Schusswunden herrühren könnten. Natürlich hat Gustave bei den traditionell abergläubischen Bewohnern des Ruzizi-Deltas schon längst mythischen Status erlangt. Neben seiner Kugelfestigkeit soll das gewaltige Nilkrokodil nämlich auch über magische Kräfte sowie einen zügellosen Hunger nach Menschenfleisch verfügen. So besagt eine am Tanganjikasee gerne erzählte, aber doch wenig glaubhafte Legende, dass Gustave auf einem einzigen Beutezug mehr als ein Dutzend Menschen verschlungen haben und, als sich der Tag dem Ende zuneigte, immer noch Appetit gehabt haben soll.
Doch warum wurde Gustave zum Menschenfresser? Die Gründe liegen im Dunkeln, es gibt fast so viele Theorien wie Opfer. Eine beliebte Erklärungsmöglichkeit ist die sogenannte »Ersatztheorie«, die von der Tatsache ausgeht, dass die Bevölkerung im Ruzizi-Delta in den letzten 15 Jahren drastisch zugenommen hat, während die Wildbestände dank hemmungsloser Bejagung drastisch reduziert wurden. Und was läge da näher als die Vermutung, dass Gustave seine Nahrungsgewohnheiten einfach an die aktuell zur Verfügung stehende Beute angepasst hat?
Vielleicht hängt Gustaves fatale Vorliebe für Menschenfleisch aber auch mit den zahllosen Opfern des blutigen und schon lange andauernden Bürgerkriegs in der Demokratischen Republik Kongo zusammen, deren Leichen oft achtlos einfach in den Ruzizi-Fluss geworfen wurden und dort mit Sicherheit den Speisezettel der ansässigen Krokodile ergänzten.
Nach einer weiteren Theorie hindern seine ungewöhnliche Größe und sein gewaltiges Gewicht Gustave daran, schnell bewegliche Beute wie Fische, Antilopen oder Zebras zu erbeuten, weshalb er sich eben auf etwas schwerfälligere Beutetiere wie kleine Nilpferde oder eben leicht zu erbeutende Menschen spezialisiert hat.
2002 sollte Gustave dann endlich zur Strecke gebracht werden. Aber bitte schön lebend! Der geplante Lebendfang von Gustave sollte nämlich gleich mehrere Vorteile bringen: Zum einen hätte die Bevölkerung dann endgültig Ruhe vor dem menschenfressenden Krokodil, und zum anderen wäre ein Gustave hinter Gittern doch eine prächtige Attraktion für zahlungskräftige Krokodilfans aus aller Welt – geradezu ein Segen für den nicht gerade für seine tierischen Highlights bekannten Ruzizi-Nationalpark. Darüber hinaus sollte Gustave die letzten Jahre seines Lebens zwar in Gefangenschaft, aber dennoch mit einer durchaus angenehmen Tätigkeit verbringen, nämlich als eine Art oberster Deckhengst – pardon Deckkrokodil – von Burundi. Krokodilbullen von Gustaves Größe sind in Zentralafrika nämlich äußerst selten. Gerade große Krokodile wurden in der Kolonialzeit von Trophäenjägern in ganz Afrika erbarmungslos gejagt. Und auch später in den 1950er- und 1960er-Jahren wurden Abschussquoten in vielen zentralafrikanischen Staaten oft einfach ignoriert, sodass professionelle Jäger manchmal in einer Nacht Dutzende großer Krokodile abschossen, deren Häute dann irgendwann im Kaminzimmer einer Villa in London, Paris oder Beverly Hills landeten. Umso wichtiger also beim heutigen Mangel an wirklich großen Krokodilen, dass ein »Superkrokodil« wie Gustave seine guten Gene an möglichst viele Nachkommen weitergibt und damit den burundischen Krokodilgenpool tüchtig auffrischt.
Zusammen mit einem Team des amerikanischen Fernsehsenders PBS , den der findige Franzose als Sponsor gewonnen hatte, versuchte Faye, Gustave mithilfe einer riesigen Falle aus dem Verkehr zu ziehen. Die Ausmaße der nach Konstruktionsplänen von Faye gebauten Krokodilfalle waren gewaltig: Zehn Meter lang, zwei Meter breit und zwei Meter hoch. Allein um das tonnenschwere Monstrum aus Stahl zu transportieren, waren mehr als 30 Personen notwendig. Das Team setzte die unterschiedlichsten Köder ein, um das riesige Krokodil in die nicht minder
Weitere Kostenlose Bücher