Faszination Menschenfresser
USA gerne mit der Geschichte vom »modernen Jona« James Bartley, einer Geschichte, die im anglo-amerikanischen Kulturkreis weitverbreitet ist. Im Mittelpunkt steht das Walfangschiff Star of the East , das sich 1891 in der Nähe der Falklandinseln auf der Jagd nach Walen befand. Als der Ausguck des Walfängers eines schönen Morgens einen großen Pottwal sichtete, wurden sofort zwei kleine Fangboote zu Wasser gelassen. Zwar gelang es den Walfängern relativ rasch, den Wal zu harpunieren, aber der riesige Meeressäuger setzte sich noch im Todeskampf gegen seine menschlichen Gegner erbittert zur Wehr: Er rammte ein Fangboot und warf es um. Von den über Bord gegangenen Walfängern konnten jedoch bis auf zwei alle gerettet werden. Ein Matrose ertrank, ein weiterer namens James Bartley blieb verschwunden. Als die Walfänger am nächsten Morgen dann damit begannen, den toten Wal, der über Nacht längsseits des Walfangmutterschiffs vertäut worden war, in seine Einzelteile zu zerlegen, machten sie eine Entdeckung der besonderen Art: Im Magen des getöteten Tieres befand sich der arg ramponierte, aber immer noch lebende James Bartley. Der vermisste Matrose war vom Pottwal Stunden zuvor verschluckt worden und hatte dennoch überlebt! Die Walfänger reinigten den bewusstlosen Matrosen von Schleim und Blut und brachten ihn in die Kapitänskajüte. Dort erlangte Bartley relativ rasch das Bewusstsein, war jedoch offensichtlich mental derart von seinem Horrorerlebnis angeschlagen, dass er wochenlang nur wirres Zeug von sich gab. Erst etwa nach einem Monat war er geistig wieder so stabil, dass er von seinen Abenteuern im Verdauungstrakt des Pottwals erzählen konnte. Bartley berichtete seinen staunenden Zuhörern, beim Verschlucken durch den riesigen Pottwal habe er einen kurzen Schmerz verspürt, als er über die Zähne des Monsters geglitten sei, danach sei er durch die schleimige Speiseröhre in den Magen des Wals gerutscht. Dort habe er zwar atmen können, hätte aber bedingt durch die große Hitze und den üblen Geruch und auch aus Todesfurcht bald das Bewusstsein verloren. Gerne wird auch kolportiert, dass die aggressive Magensäure Bartleys Haut derart bleichte, dass er von da an nicht nur mit einer völlig runzeligen, sondern auch schneeweißen Haut durchs Leben laufen musste. In anderen Versionen der Geschichte bekam Bartley durch die 24-stündige Einwirkung der Verdauungssäfte eine dauerhaft bläuliche Färbung verpasst. Auch zahlreiche Ärzte, denen sich Bartley in diversen Londoner Krankenhäusern vorstellte, hätten da nichts mehr tun können. James Bartley blieb also zeit seines Lebens ein gezeichneter Mensch. Da auch seine Augen schwer gelitten hatten, war an eine Arbeit als Matrose nicht mehr zu denken. So fristete er den Rest seines Daseins als schwer sehbehinderter Schuster in seiner Heimatstadt Gloucester in England. Dort liegt er auch begraben.
Über Bartleys Schicksal wurde ausführlich immer wieder in diversen amerikanischen Traktaten und Magazinen berichtet. Vor allem konservative christliche Autoren wie Bernard Ramm und bekannte Kreationisten wie Harry Rimmer und Henry Morris sorgten für eine weite Verbreitung der Geschichte, um anhand der Erlebnisse des »modernen Jona« zu zeigen, dass sich die Geschichte vom biblischen Jona eben durchaus so zugetragen haben könnte, wie sie in der Heiligen Schrift erzählt wird. Das Überleben Bartleys im Walmagen wurde letztendlich zum Beweis hochstilisiert, dass die Bibel Wort für Wort wörtlich zu nehmen ist.
Nachdem er die Geschichte vom Amerikaner, der angeblich anderthalb Tage in einem Pottwalmagen überlebt hatte, immer wieder in christlichen Veröffentlichungen auch der jüngeren Vergangenheit und sogar in einigen Bibelkommentaren gelesen hatte, begab sich der amerikanische Historiker Edward B. Davis in den 1980er-Jahren auf die Spuren von James Bartley. Davis durchforstete nicht nur zahlreiche zeitgenössische Zeitungen, Magazine und Originaldokumente, sondern verbrachte sogar einige Zeit in England, der Heimat von James Bartley, um in diversen Bibliotheken nach Beweisen für die unglaubliche Geschichte vom »modernen Jona« zu forschen. Die Ergebnisse von Davis’ Recherche waren ernüchternd. Der Wissenschaftler fand nicht einen einzigen Anhaltspunkt, der die Geschichte Bartleys bestätigte. Im Gegenteil: Je genauer Davis – oft in mühevoller Kleinarbeit – die überprüfbaren Fakten checkte, desto mehr wuchsen seine Zweifel am Wahrheitsgehalt der
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