Faszinierend wie der Kuss des Herzogs
die unsichtbaren Fesseln zerrissen. Immer noch betört von seinem Geschmack und seinem Geruch, taumelte sie zurück.
Abrupt wandte sie den Blick von ihm ab. Mit bebenden Fingern berührte sie ihren Mund. Jetzt musste sie endlich flüchten. „Nein, Averton, Sie sind gekommen, um mich zu warnen . Gut, das habe ich verstanden.“ Sie hob ihren Dolch auf. Dabei fiel die Brille zu Boden, die sie nach oben ins Haar gestreift hatte. Ohne es zu bemerken stürmte sie zu dem schmalen Pfad, dem kein Pferd folgen konnte. „Närrin!“, wisperte sie atemlos. „Elende Närrin!“
„Verdammt!“, fluchte Edward wütend.
So war es nicht geplant gewesen. Ganz behutsam hatte er Clio auf seine Anwesenheit in Sizilien hinweisen und ihr versichern wollen, er würde ihr keinesfalls schaden. Danach hätte er ihr seine Absichten erklärt, zumindest teilweise. Er hatte nicht erwartet, sie heute hier draußen anzutreffen. Jeden anderen Altertumsforscher hätte der Regen an einer so mühsamen Arbeit gehindert.
Nun, er hätte es wissen müssen. Ein bisschen Donner würde Clio Chase nicht entmutigen. Er hatte geplant, die Ausgrabung zu erforschen, während sich niemand anderer hier aufhielt, und Informationen über seinen Gegner zu sammeln,
Und dann hatte sie ihm gegenübergestanden – voller Zorn, einen Dolch in der Hand, ein wildes Funkeln in den frühlingsgrünen Augen. „Sie!“, hatte sie gerufen, als wäre ein Dämon vor ihr aufgetaucht. Sein Entschluss, sich von ihr fernzuhalten, hatte sich in nichts aufgelöst, verdrängt von jener leidenschaftlichen Sehnsucht, die ihn erfasste, wann immer er Clio sah. Genauso wenig, wie er zu atmen aufhören konnte, vermochte er ihr zu widerstehen. Er hatte sich so lange wie möglich beherrscht. Doch als sie an ihm vorbeilaufen, seine Warnung ignorieren wollte, da war es um ihn gesche hen. Er hatte sie einfach festhalten müssen.
Wütend schlug er mit der Faust gegen einen Baumstamm, spürte die Holzsplitter nicht, die durch seinen Handschuh drangen, nahm nichts wahr außer Clios Parfüm, den Duft weißer Lilien, der immer noch an seiner Haut haftete.
Warum – warum nur hatte er sie geküsst? Warum hatte sie den Kuss erwidert? Dass sie ihn mit der Alabastergöttin bewusstlos geschlagen hatte, war ihm viel verständlicher erschienen. Er hatte es verdient. Aber diesmal war er nur um ihre Sicherheit besorgt gewesen, und er hatte ihr klarmachen wollen, sie dürfe ihm nicht im Weg stehen.
Nein, das war nicht alles, was er erstrebte. Er wünschte, sie würde in seinen Armen liegen, seinem Verlangen mit gleicher Glut begegnen, ihre Beine um seine Hüften schlingen und seinen Namen stöhnen, den Kopf mit den herrlichen kastanienroten Locken in den Nacken werfen.
Aber die Küsse würden nichts ändern.
Edward ging zu seinem Pferd. Als er die Zügel ergriff, sah er Clios Brille am Boden liegen. Die Gläser glänzten im Sonnenschein. Die junge Dame musste sie bei ihrer überstürzten Flucht verloren haben. Vorsichtig hob er sie auf und hielt sie ins Licht. Die Linsen waren stark, allerdings nicht übermäßig. Nur geringfügig vergrößerten sie die Ritzen in den Kalksteinwänden.
Also brauchte sie die Brille für ihre archäologische Arbeit, war aber ohne dieses Hilfsmittel nicht sehbehindert. Vielleicht diente es ihr auch als eine Art Schutz, hinter dem sie sich versteckte.
Sorgsam verstaute er die Brille in einer Innentasche seines Reitjacketts und schwang sich in den Sattel.
Bald würde Clio die Brille wieder brauchen. Sehr bald.
5. KAPITEL
„… doch auf tat flugs sich weite Erde in der nysischen Flur, und es stürmet heraus Poydegmon, mit den unsterblichen Rossen, der Sohn des erhabenen Kronos. Raubend die Sträubende aber entführt auf goldenem Wagen er sie …“
Stöhnend schloss Clio das Buch und legte es beiseite. Vielleicht war dieser Teil der „Homerischen Hymnen“, die Geschichte von Hades und Persephone, keine geeignete Lektüre nach diesem Vormittag.
Sie strich über ihre schmerzende Stirn. Auf gar nichts konnte sie sich konzentrieren, nicht einmal auf eine Modezeitschrift.
Immer wieder kehrten ihre Gedanken zu dem alten Bauernhaus zurück, zu der Begegnung mit Averton. So unversehens, als wäre er auf einem „unsterblichen Ross“ aus dem Innern der Erde aufgetaucht …
Sie war zurückgekehrt, um ihre Brille zu suchen. Hinter einem Felsbrocken verborgen, hatte sie zu der Ruine gespäht, um sich zu vergewissern, dass der Duke davongeritten war. Glücklicherweise sah
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