Fatal Error
herauszukommen. Eine zweite kriegen wir nicht.«
Ingrid seufzte. »Du hast natürlich Recht. Aber ich kann mir nicht helfen: Guy tut mir Leid. Er ist tapfer. Er kämpft bis zum bitteren Ende.«
»Und was geschieht nun?«
»Wir warten. Guy hat alle nach Hause geschickt. Es sei sinnlos, noch weiterzuarbeiten. Die Leute wollten bleiben, aber er hat darauf bestanden. Es war, als wollte er um Mitternacht mit Ninetyminutes allein sein.«
»Seltsam.«
»Ja.«
»Wie hält er sich? Kommt er einigermaßen klar?«
»Noch ja. Solange Hoffnung besteht. Aber er steht enorm unter Strom.«
»Und wenn keine mehr besteht?«
Ingrid schüttelte nachdenklich den Kopf. »Wer weiß?«
Die Türklingel ging. Ich öffnete. Es war Cläre. Eine verstörte Cläre. Ihre Haare waren ungekämmt, ihre Augen, diese grauen Augen, die gewöhnlich so kühl blickten, flackerten, das Gesicht war gerötet.
Ich führte sie ins Wohnzimmer. Als sie Ingrid erblickte, erschrak sie sichtlich.
»Keine Sorge, Ingrid und ich sind zusammen«, sagte ich, ohne weiter darüber nachzudenken. Es war einfach die Wahrheit.
Cläre blickte von einem zum anderen. Ingrid lächelte beruhigend.
»Okay«, sagte Cläre und fand sich mit den Tatsachen ab. »Ich muss mit Ihnen sprechen.« Sie zitterte am ganzen Körper.
»Nehmen Sie Platz. Möchten Sie was trinken? Eine Tasse Tee? Einen Whisky?«
Cläre ließ sich aufs Sofa sinken. »Nein, es ist schon in Ordnung«, sagte sie. Dann lächelte sie ein wenig. »Ehrlich gesagt, ein winziger Whisky wäre keine schlechte Idee.«
Ich holte ihr einen. Viel Whisky, wenig Wasser.
Sie nahm einen kräftigen Schluck. »Danke.« Als ihr die Flüssigkeit die Kehle hinunterlief, verzog sie das Gesicht. Ihre Hände zitterten noch immer. »Ich brauche Ihre Hilfe. Henry hat vorgeschlagen, ich solle mit Ihnen reden.«
»Henry?« Ich fragte mich, worüber sie mit mir reden wollte. Dann wusste ich es. »Haben Sie eine Drohung bekommen?«
Cläre nickte. »Zwei.«
»Was ist geschehen?«
»Gestern erhielt ich das hier.« Sie händigte mir ein DIN-A4-Blatt aus, dreimal gefaltet, damit es in einen normalen Briefumschlag passte. Ich las:
Wie Sie wissen, hat Ninetyminutes ein unverlangtes Angebot von Champion Starsat erhalten, in dem es um den
Kauf des Unternehmens geht. Sie sollten dieses Angebot ablehnen und stattdessen die Gespräche mit anderen potenziellen Anlegern aufnehmen. Außerdem sollten Sie Ninetyminutes einen Überbrückungskredit von einer Million Pfund zugänglich machen, bis ein anderer Kapitalgeber gefunden ist. Wenn Sie das Angebot von Champion Starsat bis Donnerstag um Mitternacht nicht abgelehnt haben, werden Sie sterben. Ihr Kollege Henry Broughton-Jones hat im April eine ähnliche Drohung erhalten. Er hat die richtige Entscheidung getroffen. Sie sollten das auch. Wenn Sie sich an die Polizei oder an jemand anders wenden, sind Sie ebenfalls tot.
Die Notiz war nicht unterzeichnet. Natürlich handelte es sich um einen Computerausdruck, doch die Schrift war etwas anders als auf dem Brief, den Henry erhalten hatte.
Ingrid sah mir über die Schulter und las mit. »Oh, mein Gott!«, flüsterte sie.
»Haben Sie das Henry gezeigt?«
»Ja«, sagte Cläre. »Der Scheißkerl hat mir erzählt, was ihm und seiner Familie zugestoßen ist. Ich kann es nicht fassen, dass er mir Ninetyminutes überlassen hat, ohne mich zu warnen. Dieser Feigling!«
»Er hat sich Sorgen um seine Familie gemacht«, sagte ich.
»Und was ist mit mir? Er hat mir nichts erzählt. Und Sie? Warum haben Sie mir nicht gesagt, was da läuft?«
»Es tut mir wirklich Leid, aber ich hatte es Henry versprochen. Ich habe versucht, dem ein Ende zu machen, indem ich nach Frankreich geflogen bin, um Owen von weiteren Gewalttaten abzuhalten.« Ich berührte meine Wange, auf der sich immer noch eine kleine Narbe befand. »Offensichtlich hat es nicht gewirkt.«
»Offensichtlich«, sagte Cläre.
»Waren Sie deshalb heute Nachmittag so verstört?«, fragte Ingrid.
»Vollkommen richtig. Ich hatte beschlossen, mich nicht einschüchtern zu lassen, aber ich war durcheinander. Und dann erhielt ich diese E-Mail hier.«
Sie haben noch acht Stunden. Sagen Sie nein zum Angebot von Champion Starsat, oder Sie sterben. Ich meine es ernst.
Ich versuchte, die Hieroglyphen zu entziffern, die über die Internet-Route Auskunft gaben. Die E-Mail war an Cläre bei Orchestra adressiert. Woher sie kam, war unmöglich zu erkennen. Ich kannte keine der verzeichneten
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