Fatal - Roman
Courtney tauschten Blicke, sagten aber nichts.
»Zwei müssen heute gehen, noch jemand Ende des Monats.«
»Heute zwei«, wiederholte jemand ungläubig. Auch Ellen war entsetzt. Ihre Brust zog sich zusammen. Sie brauchte den Job. »Wird es Abfindungen geben?«, fragte jemand.
»Diesmal leider nicht.« Marcelo krempelte die Ärmel seines schwarzen taillierten Hemdes hoch, das er ohne Krawatte trug. »Ihr kennt die Gründe für die Kündigungen. Unsere Leserzahlen sind wie bei allen Zeitungen stark rückläufig. Wir versuchen alles Mögliche mit Blogs und Podcasts, und ich weiß, auch ihr gebt alles. Es ist nicht eure Schuld und auch nicht die des Managements. Wir können einfach nicht so weitermachen. Ende der Fahnenstange.«
»Das war zu erwarten«, murmelte jemand.
»Wir müssen also der Realität ins Auge sehen. Das ist schrecklich, denn ihr alle habt Familien. Ihr müsst euch einen neuen Job suchen, umziehen, eure Partner müssen ihren Job aufgeben, die Kinder die Schule wechseln. All das weiß ich.« Marcelo machte eine Pause. Sein trauriger Blick wanderte von einem angsterfüllten Gesicht zum nächsten. »Wenn mir meine Mutter den Hintern versohlte, sagte sie immer: Mir tut es weher als dir. Aber, sabia que nao era verdade . Soll ich übersetzen? Nein, diesen Unsinn übersetze ich nicht.«
Ellen musste lachen. Sie mochte es, wenn Marcelo Portugiesisch sprach. Gegen einen Rauswurf auf Portugiesisch hätte sie vielleicht weniger einzuwenden.
»Ich behaupte nicht, dass es mir mehr wehtut als euch. Aber ich möchte euch sagen, dass ich weiß, wie ihr euch fühlt.« Marcelo lächelte wieder. »Ihr alle wisst, dass ich bei ein paar Zeitungen rausgeflogen bin, die zu den besten der Welt gehören. Sogar meine Heimatzeitung in São Paulo hat mich gefeuert.«
»Weiter so, Boss«, rief ein Layouter. Es wurde gelacht.
»Aber ich hab’s überlebt. Und ich werd’s auch überleben, wenn diese Zeitung mich wegschicken sollte. Denn ich werde immer Zeitungen machen. Ich liebe diesen Beruf. Ich liebe es, mit der Hand über eine Zeitungsseite zu streichen.« Marcelo rieb seine Fingerspitzen aneinander und setzte ein trotziges Lächeln auf. »Ich liebe den Geruch von Druckerschwärze. Ich liebe es, etwas herauszufinden, was bisher niemand herausgefunden hat. Ich liebe es, dies den Menschen mitzuteilen. Das ist unser tagtägliches Geschäft, und ich weiß, ihr liebt es auch.«
Jemand klatschte Beifall, und Ellen schöpfte wieder Mut. Auch sie liebte ihren Beruf. Sie war mit der Zeitung auf dem Küchentisch aufgewachsen. Die Seite mit dem Kreuzworträtsel lag jeden Morgen aufgeschlagen neben der Kaffeetasse ihrer Mutter. Noch heute wurde ihr ganz kribbelig, wenn sie ihren Namen unter einem Artikel las. Kein Beruf passte besser zu ihr - außer dem Muttersein, bei dem die Bezahlung noch schlechter war.
»Unser Enthusiasmus stößt allerdings nicht immer auf Gegenliebe, vor allem nicht in letzter Zeit.« Marcelo schüttelte ostentativ den Kopf. »Wir lieben unsere Zeitung
- aber sie ist treulos.« Er setzte ein Killerlächeln auf. »Sie sucht sich andere Männer. Sie geht fremd.«
Alle lachten und entspannten sich ein wenig. Auch Ellen hatte fast vergessen, dass ihr Job auf dem Spiel stand.
»Doch unsere Liebe ist unerschütterlich. Nichts kann sie beirren. Denn es wird immer Zeitungen geben, und diejenigen, die unsterblich in dieses Gewerbe verliebt sind, werden niemals von der flatterhaften Dame lassen können.«
»Wer ist hier der Spezialist für flatterhafte Damen?«, platzte ein Wirtschaftsreporter dazwischen. Wieder lachten alle. Dann änderte sich Marcelos Gesichtsausdruck, er schien nachzudenken. Er wirkte älter als die vierzig Jahre, die er war.
»Ich habe harte Entscheidungen zu treffen. Ich muss zwei von euch heute entlassen und einen am Ende des Monats. Diejenigen, die es trifft, sollen wissen, dass ich sie nicht einfach zur Personalabteilung rüberreiche und aus meinem Gedächtnis streiche.«
Vorn nickte jemand. Alle wussten, dass er einem gefeuerten Reporter aus dem Wirtschaftsressort eine Stelle bei der Seattle Times besorgt hatte.
»Ihr seid alle großartige Journalisten, und ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um euch einen neuen Job zu verschaffen. Ich kenne viele Leute in dem Geschäft. Ihr habt mein Wort.«
»Danke«, rief ein Reporter, und ein Zweiter schloss sich an. Es wurde sogar vereinzelt geklatscht. Auch Ellen applaudierte. Marcelo beeindruckte sie - nicht nur mit seinem guten
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