Fatal - Roman
ein Loch für die Ringelblumen. Ellen hörte das Telefon einmal, zweimal klingeln, dann sah Carol zum Haus.
Geh ans Telefon, Carol!
Ellen zog die Papiertüte aus ihrer Hose und marschierte los. Carol hatte die Gärtnerhandschuhe abgestreift und lief ins Haus.
Ja!
Ellens Herz pochte. Sie überquerte die Straße. Kein Jogger war unterwegs. Kein Hund wurde von seinem
Frauchen ausgeführt. Jetzt oder nie! Sie begann zu laufen, das unablässige Klingeln ihres Handys im Ohr. Nur noch drei Meter, nur noch zwei - und schon stand sie vor der Dose.
Jetzt! Jetzt! Jetzt!
Mit der Dose in der Hand hastete sie die Straße hinauf. Ihren Wagen konnte sie schon sehen. Sie drehte die Dose um, die Limonade lief heraus.
Vor einem Stoppschild hinter ihr kam ein Lkw mit quietschenden Bremsen zum Stehen.
Ellen sprang ins Auto, steckte die Dose in die braune Papiertüte, drehte den Zündschlüssel um und trat aufs Gaspedal. Am liebsten hätte sie sich selbst Beifall geklatscht. Der Wind, der vom Damm her blies, peitschte ihr Haar. An der nächsten Ampel zog sie den Handschuh aus. Er hatte seine Schuldigkeit getan. Sie legte Mütze und Sonnenbrille ab. Schluss mit der Maskerade. Als sie das Straßenschild sah, stutzte sie.
Charbonneau Drive?
Die Ampel schaltete auf Grün. Anstatt geradeaus zum Damm weiterzufahren, bog sie nach rechts ab.
56
CHARBONNEAU DRIVE. Ihr fiel die Postkarte des Zahnarztes wieder ein, die sie in Bravermans Müll gefunden hatte. Der Name war ihr bekannt vorgekommen, sie hatte ihn aber nicht einordnen können. Wer zum Damm fuhr, kam an dieser Straße vorbei. Der Charbonneau Drive
musste etwas mit Carol Braverman zu tun haben, denn ein so ungewöhnlicher Name kam nur selten vor.
Voller Neugier fuhr sie die gewundene Straße entlang. Bunt durcheinandergewürfelte Baustile auch hier. Es gab eine Ranch, ein Fertighaus und ein französisches Schloss à la Disneyland. Palmen standen am Straßenrand, die ihren Schatten auf den Asphalt warfen. Doch sie waren wie die Häuser und die Oleander- und Bougainvilleenbüsche nicht sehr alt. Eine Frau in einem durchgeschwitzten Unterhemd joggte vorbei. Zwei Männer führten zwei Dackel aus.
Am Ende der Straße sah man, dass es sich um eine Sackgasse handelte. Eine große Villa mit rosafarbenem Stuck und Ziegeldach erhob sich dort, drei Stockwerke hoch und mit mindestens dreißig Fenstern. Vor dem monumentalen Haupteingang stand ein Schild: »Charbonneau House. Eintritt frei.«
Ellen stellte das Auto auf dem gekiesten Parkplatz ab. Die DNA-Probe verstaute sie unter dem Fahrersitz. Dieses Haus war viel älter als die anderen in der Straße, doch es war jahrelang liebevoll gepflegt worden. Die Rasenfläche hinter dem Haus war golfplatzgroß. Der Garten duftete. Hier bekam man eine Ahnung von dem früheren, ruhigeren tropischen Florida, das es einmal gegeben hatte. Ellen stieg die Außentreppe aus mexikanischen Kacheln hoch.
Der Boden der Eingangshalle war schwarz-weiß gefliest. Sie sah eine gigantische Treppe, die mit einem orientalischen Teppich belegt war und nach oben führte. Von der Halle gingen drei Räume ab, die aussahen wie Konferenzzimmer. Der Blick nach draußen verlor sich in üppigem Grün.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte eine Stimme. Ellen drehte sich um. Eine Frau mit dunkelbrauner Kurzhaarfrisur lächelte sie an. »Suchen Sie jemanden?«
»Ich bin nicht von hier. Das Haus ist so einladend. Ich wollte es mir nur ansehen.«
»Vielen Dank. Wir sind stolz auf das Charbonneau House und die Arbeit, die wir hier leisten.«
»Was machen Sie, wenn ich fragen darf?«
»Wir fördern Theater- und andere kulturelle Projekte für Kinder in der Gemeinde.« In ihrer weißen Bluse, ihrem khakifarbenen Rock und ihren roten Espadrillos war die ältere Dame perfekt angezogen. »Neben den Konferenz- und Unterrichtsräumen haben wir im hinteren Teil des Gebäudes ein richtiges Theater mit fünfundsiebzig Sitzplätzen. Es gibt einen geräumigen Backstagebereich mit mehreren Garderoben. Jedes Jahr führen wir drei Stücke auf. Es war einmal eine Matratze hieß unsere letzte Produktion.«
»Klingt spannend«, sagte Ellen. »Das Charbonneau House und der Charbonneau Drive. Ich nehme an, es handelt sich um einen Familiennamen.«
»Ja. Die Charbonneaus sind eine der ältesten Familien in der Gegend. Sie haben das Haus der Gemeinde geschenkt.« Die Frau zeigte auf ein Ölbild in einem prunkvollen Goldrahmen. »Das ist Bertrand Charbonneau, dem wir das alles verdanken. Leider
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