Fatales Vermächtnis
Der Tee weckte seine Lebensgeister.
»Hat sich eine junge Frau gezeigt, die sich Soscha nannte?«
»Nein, Exzellenz. Es blieb die letzten fünf Tage...«
»Fünf Tage?« Lodrik bekam einen Schrecken. In der Zwischenzeit konnte sich Vahidin bereits wieder weit von ihm abgesetzt haben - in alle möglichen Richtungen des Kontinents. »Ich brauche zwei Pferde, eines zum Reiten, das andere für meine Ausrüstung«, sagte er zu ihnen. »Ich muss Vahidin folgen.«
»Wir stellen Euch alles zur Verfügung, was Ihr benötigt, Exzellenz«, sagte Evlova und deutete wieder eine Verbeugung an.
»Ich erwarte nicht, dass Ihr mich begleitet. Ihr seid Wundheiler, keine Krieger«, fuhr er fort. »Habt Ihr Verbindungen zur Schwarzen Sichel?«
Sie sahen sich erstaunt an. »Nein. Niemand könnte das. Die Schwarze Sichel existiert nicht mehr. Oder wisst Ihr mehr darüber?«
Lodrik behielt für sich, was Vintera ihm offenbart hatte. »Nein. Ich hoffte, eine Handvoll erfahrene Mörder an meiner Seite zu haben, wenn ich ausziehe.«
Evlova lächelte kühl. »Erfahrene Mörder sind wir alle«, sie deutete sehr elegant in die Runde, und leises, wissendes Gelächter
erklang, »doch wir taugen im Kampf nicht viel.« Sie stand au| nahm Schreibutensilien zur Hand.
»Diktiert mir, Exzellenz, was
immer Ihr braucht. Ich lasse die Dinge umgehend besorgen.«
Lodrik blickte in die harmlosen Gesichter seiner neuen Anhängerschaft und konnte sich nicht ausmalen, welche Gedanken dahinter herrschten. Die Anspielung, als es um Mörder ging, ließ ihn erahnen, dass er sich unter Leuten befand, die buchstäblich über Leichen gingen. Auch wenn er kein Nekromant mehr war, ließen ihn die Toten nicht los. Lodrik bereitete sich auf die Abreise vor.
Es würde ein schwieriges Unterfangen, gänzlich ohne Verbündete gegen Vahidin auszuziehen, weder mit Soscha noch mit Sainaa.
Auch die Reihen seines Gegners hatten sich gelichtet, der nun aber den Vorteil besaß zu wissen, über welche Kräfte Lodrik verfügte. Beim nächsten Zusammentreffen wäre der Kampf ungleich härter und gnadenloser, weniger herablassend-überheblich. Vermutlich würde ein einzelner kurzer Schlagabtausch darüber entscheiden, wie sich das Schicksal des Kontinents entwickelte. Lodrik stand in seinem Zimmer, die Läden weit geöffnet, um Licht und Luft hereinzulassen. Als Nekromant hatte er die Sonnen gehasst, als ein wiedergeborener Mensch liebte er die hellen, wärmenden Gestirne umso mehr. Lodrik packte die Wäsche in den wasserdichten Seesack. Ein Schatten huschte am Fenster vorbei, ein Schaben und Kratzen erklang, und mit einem leisen Geräusch sprang jemand in sein Zimmer.
Lodrik nahm das Schwert und wandte sich um; inzwischen schützte er seinen Körper mit einer eisenringbesetzten Lederrüstung. Nach Möglichkeit wollte er darauf verzichten, unentwegt auf Vinteras Gnade zurückzugreifen.
Vor ihm stand - ein Modrak!
Das Wesen hopste geduckt aus dem Licht und drückte sich in
die Ecke neben dem Schrank. Ich will Euch nichts tun, sagte Lodriks Verstand. Ich habe ein Angebot für Euch.
Lodrik richtete die Klingenspitze auf den Modrak. »Verschwinde.«
Ihr sucht doch nach Vahidin.
»Ihr seid schon immer Intriganten gewesen. Ihr steigt mit dem Wind auf, der euch am günstigsten erscheint.«
Die Menschen sehen es falsch. Wir sind treu, wenn man uns gerecht entlohnt und uns das Ziel dessen, dem wir folgen, greifbar erscheint. Der Modrak faltete die Flügel so auseinander, dass sie ihn weiter gegen die Sonnenstrahlen abschirmten; jetzt leuchteten seine Augen kräftig, der kahle, skelettartige Schädel war auf den Mann gerichtet.
»Und du willst mir sagen, dass Vahidin sein Ziel aus den Augen verloren hat und ihr ihn deshalb aus dem Weg schaffen wollt?«
Der Modrak mahlte mit den Zähnen, es schabte und klickte. Das stimmt. Er ist nicht mehr von Nutzen, und er hat uns gedroht. Wenn wir ihm nicht zur Seite stünden, würde er Geister gegen uns hetzen. Lodrik spürte die Furcht. »Ich verstehe. Einem Pfeil oder einer magischen Attacke könntet ihr entkommen, aber Geister sind überall. Ihr würdet ausgerottet werden und könntet euch nicht einmal dagegen wehren.« Er senkte das Schwert und lachte das Wesen aus. »Von mir aus.«
Aber wir verlangen eine Gegenleistung...
Lodrik lachte noch immer. »Nein. Ich meinte, von mir aus kann Vahidin euch mit in den Untergang reißen. Niemand auf Ulldart wird euch vermissen.« Er zeigte zum Fenster. »Verschwinde. Ich finde ihn auch ohne
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