Fatales Vermächtnis
»Ich
werde warten. Er soll sehen, dass mein Land mehr zählt...«
»...als das Schicksal des Kontinents?«, warf Fiorell ein. »Majestät, Ihr habt die Pflicht, das Schloss zu verlassen! Formiert den Widerstand, setzt Euch mit den gekrönten Häuptern an den Tisch und entscheidet zum Wohle aller.« Er sprang auf den Boden und kam zu seinem Herrn. »Ich bitte Euch!«
»Was wird aus meinen Untertanen?«
Fiorell lächelte. »Ich werde mich als Euch ausgeben, Majestät. Ein bisschen Schminke, ein falscher Bart, drei oder vier Kissen unter der Jacke, und ich sehe aus wie Ihr. Es wird Nech gar nicht auffallen.«
»Rutschst du dann auf den Knien, oder wie schraubst du deine Unterschenkel ab, langes Elend?«
Perdor geriet ins Wanken. Es war nicht gut, eine bedeutende Stellung innezuhaben. Zu viele Erwartungen und zu viel Verantwortung lasteten auf ihm.
Laute Schritte erklangen, das Geräusch von Waffen und Rüstungen, die aneinander rieben, war deutlich zu hören. Neue Wächter eilten die Gänge entlang.
Fiorell schloss die Verandatür. »Rasch, Majestät! Paltena wird Euch auf sicheren Spionagepfaden nach Serusien schleusen, und Ihr könnt endlich wieder tätig werden!« Die junge Frau nickte aufmunternd. Doch Perdor hatte sich noch nicht entschieden.
Aus dem Arbeitszimmer erklangen mehrere Stimmen. Sie sahen durch die Vorhänge die Umrisse von Bewaffneten, die hin
und her eilten; es wurde laut gerufen, dann näherten sich einige
der Tür nach draußen,
»Lauft endlich, Herr!« Fiorell nahm ihn am Arm und stieß ihn vorwärts. »Paltena, bring den König sicher fort.« Er wandte sich
zur Tür und langte nach einem Kerzenleuchter, der auf dem Sims
gestanden hatte. »Ich halte sie auf.«
Perdor fand die Bemühungen seines Freundes rührend. »Mit einem Kerzenleuchter?«
»Mit meiner Entschlossenheit, Majestät.« Fiorell zwinkerte. »Und meinem Humor. Ich kenne immer noch den tödlichen Witz.«
Die Flügeltüren schwangen auf, und Nech erschien auf der Schwelle. Fiorell sah sofort, dass seine Hände und Beine mit Eisenschellen gefesselt waren. Er blinzelte verblüfft und senkte den Leuchter. »Das ist nicht, was ich erwartet habe.«
Perdor hatte sich nicht bewegt. »Was geht denn nun vor?«, rief er verwirrt. Er betrachtete den Kaiser und sah den abwesenden Ausdruck auf seinen Zügen. Er glich einem Menschen unter Ein-fluss von starken Rauschgiften, die Pupillen waren glanzlos wie bei einem stumpfsinnigen Tier. »Nech? Was ist mit Euch?«
Hinter dem selbst ernannten Kaiser erschienen ein halbes Dutzend gerüsteter Nicti, einer von ihnen gab Nech einen Stoß, sodass er stolperte und nach vorne fiel, unmittelbar vor die Füße des Königs. Er ächzte und fing den Sturz ab, um mit dem Gesicht nicht auf die Steine zu prallen. Seine Schultern bebten, und zuerst dachte Perdor, dass der Angorjaner weinte, bis er das glucksende Kichern vernahm. Der König fand es sehr befremdlich.
Ein Nicti trat neben ihn und verneigte sich vor den drei Menschen. Das lange grüne Haar reichte bis zu den Schultern, es sah ungekämmt aus. »Mein Name ist Mi'in. Ich bin gesandt worden, um Euch im Namen der Allerhöchsten ein Geschenk zu bringen, König Perdor.« Er sah auf die erschossenen Angorjaner. »Ihr habt uns die Mühe gespart, Eure Bewacher zu töten, aber wir hatten es sehr gern für Euch erledigt. Eure Schützen sind wahre
Meister!«
»Die Allerhöchste? Ein Geschenk? Kaiser Nech?« Fiorell klimperte mit den Lidern. »Ich träume, wie mir scheint.«
»Ihr kennt die Allerhöchste als Estra«, erklärte Mi'in lächelnd. »Sie ist zurück?«, entfuhr es Perdor erleichtert. »Was ist mit
Tokaro und Gän?«
»Ich kenne niemanden, der so heißt. Die Allerhöchste kehrte
allein aus der Fremde zurück und ist endlich zu unserer Königin
geworden.« Mi'in sah sehr glücklich aus.
»Bringt mich zu Ihr«, bat Perdor aufgeregt. »Ich muss wissen,
was das alles zu bedeuten hat.«
Mi'in verneinte. »Sie hat mich geschickt, es zu erklären. Sie möchte niemanden sehen, Majestät.«
Hinter ihm erschienen noch
mehr Nicti. »Wie Ihr Euch denken könnt, ist Ilfaris befreit.« »Was?« Perdor hatte es fast geschrien.
»Es ist das Geschenk der Allerhöchsten an Euch. Ich soll Euch wegen Eurer Umsicht loben«, sagte Mi'in getragen. »Die Allerhöchste wünscht, dass Ihr zurück zu den Mächtigen des Kontinents kehrt und sie sinnvoll leitet.«
Fiorell sah auf den noch immer kichernden Kaiser. »Als ich vorhin meinte, dass ich sie
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