Fatales Vermächtnis
die Räume.
Soscha huschte durch Kajüten und Lager, durch enge Gänge. Es gab keine Leichen darin, die Beiboote fehlten, und die Vorratsfässer waren bis auf zwei zerstörte ebenfalls verschwunden. Im Rumpf entdeckte sie ein Loch, durch das die See ein-und ausströmte. Sie war sich sicher, das Schiff endlich entdeckt zu haben.
Soscha kehrte zu Lodrik zurück und erstattete ihm Bericht. »Es ist auf ein Riff aufgelaufen, wohl schon vor längerer Zeit«, sagte sie und deutete nach Osten. »Sie haben sich abgesetzt.«
Lodrik ließ sie stehen und rannte über das schlingernde Deck zum Kapitän, der am Heck stand und zusammen mit drei Männern das Steuer hielt, um sie am Riff vorbeizulenken. Sie trugen dicke Lederjacken gegen Wind und Wasser. »Wir müssen sofort an Land! Da, an den Strand«, brüllte er gegen den Sturm und deutete auf das Wrack. »Wir haben sie beinahe.«
»Das geht nicht, Herr«, schrie der Kapitän zurück. »Das Riff ist uns im Weg und würde uns die Spanten zerschlagen. Erst brauchen wir einen sicheren Ankerplatz.«
Lodrik ließ seine Aura aus Furcht mit voller Macht aufleben, und es wurde schlagartig dunkler um ihn herum.
Die Männer fuhren schreiend vor ihm zurück und gaben das Steuer frei, das im Durchmesser wohl anderthalb Schritt maß. Nun bediente das Meer mit seiner unbändigen Macht das Ruder, und das Rad drehte sich surrend von selbst. Niemand konnte es mehr halten.
Der letzte Tapfere bekam die Hände nicht mehr rasch genug aus den Speichen und wurde eine halbe Umdrehung mitgerissen, bevor er mit gebrochenen Fingern und Armen zu Boden fiel. Eine Woge spülte den Hilflosen von Deck.
Die Wellenkamm neigte sich ächzend zur Seite. Der Kiel durchschnitt die Meeresoberfläche und hielt genau auf das Wrack der Tzulandrier zu.
»Niemand widersetzt sich meinen Anordnungen«, grollte Lodrik düster. »Wenn ich sage, dass wir an Land gehen, tun wir das.« Er hob ein zerbrochenes Holzstück auf, das aus der geborstenen Rahe gefallen war, und rammte es ins Steuer.
Das Rad arretierte knarrend, und die Wellenkamm schoss eine
halbe Taulänge entfernt an dem Riff vorbei.
»Wäre es Vinteras Wille gewesen, dass wir ihre Sichel zu spüren bekommen, lägen wir auf dem Grund der See. Ihr seht, wir sind gut behütet.« Sein knochiger Finger zeigte auf den Strand. »Da werdet ihr mich absetzen. Danach wartet von mir aus auf das Ende des Sturmes und kehrt in euren Heimathafen zurück. Ich brauche euch nicht mehr.« Lodrik stieg die Stufen hinab und kehrte an den Bug zurück. Aus den Augenwinkeln sah er das blaue Flimmern, als sich die Seele des ertrunkenen Seemanns aus dem Wasser erhob und nach oben stieg.
»Bleib«, murmelte Lodrik und reckte den Arm. »Ich brauche dich vielleicht noch.«
Knirschend rannte der Bug den flachen Sandstrand hinauf; der Kiel zog eine tiefe Spur, bis der Schwung nicht mehr ausreichte. Mit einem vernehmlichen Knarren kam die Wellenkamm zum Stillstand und kippte langsam auf die rechte Seite, weil das stützende Meer fehlte. Der Kapitän schrie seine Befehle über das Deck, um das Schiff zu sichern. Lange Bohlen wurden eilig aus dem Bauch der Wellenkamm geholt und dienten zur Abstützung.
Lodrik warf ein Tau von der Reling hinab und ließ sich daran zu Boden. Er stand knietief im schwappenden Wasser; die nächste Welle zwang ihn zu etlichen Schritten vorwärts, damit er im weichen Sand nicht fiel. Er nahm nichts mit, weder frische Kleidung noch Geld. Was er unterwegs benötigte, würde er bekommen. Niemand wagte es, einem Nekromanten einen Wunsch abzuschlagen. Ohne sich noch einmal umzuschauen, lief er zu den Klippen. Bald fand er eine grob behauene Treppe - und eine Spur.
»Soscha«, rief er, und sie erschien auf der Stufe über ihm. »Sieh dir das an!«
Sie beugte sich nach vorn und betrachtete einige schwarze
Fäden, die sich an einer scharfen Felsnadel verfangen hatten und abgerissen waren. »Sie könnten von ihrem Kleid stammen.«
»Etwas mehr Gewissheit wäre schön.« Lodrik ließ seinen Robensaum sich an der gleichen Felsnadel verfangen und tat so, als gerate er ins Straucheln, kippte nach vorn und fing sich mit den Händen ab.
»Sieh dich um, ob es hier...« Er stockte und hob den Fetzen eines schwarzen Schleiers auf. Es gab keinen Zweifel. »Sie ist an dieser Stelle an Land gegangen«, raunte er aufgeregt und spurtete die Treppe hinauf.
Soscha hob das verschmutzte Schleiertuch auf. Darin hatte sich viel Dreck verfangen; ihrer Ansicht nach lag es schon
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