Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fatales Vermächtnis

Fatales Vermächtnis

Titel: Fatales Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
Vom Netzwerk:
Augen.
    »Ich flehe dich an, Liebste!«
    Die junge Jengorianerin hatte die Fäuste geballt, ihre Pupillen versprühten Funken - doch sie verlor ihre Rage bereits wieder. »Es fällt mir schwer, die jeden deiner Fehltritte zu verzeihen, Vahidin«, sprach sie bebend und reichte ihm die Hand, um ihm aufzuhelfen. »Weil ich weiß, dass du gegen diesen unglückseligen Drang ankämpfst, bleibe ich an deiner Seite und führe dich tiefer in die Welt der Geister« Sie schlang die Arme um seinen Hals und drückte ihn an sich. »Darin ruht meine Hoffnung, dich eines Tages ganz für mich allein zu haben.«
    »Es wird so kommen, Liebste«, versprach er ihr und strich ihr über das Haar; die geflochtenen Strähnen mit den Federn und Knochenperlen darin erinnerten an die Herkunft der Jengorianerin. Und an ihre Macht, die sie als Tochter eines Tsagaan vererbt bekommen hatte. Eine neue Welt hatte sich für ihn durch sie geöffnet. Deswegen war sie seine wichtigste Figur im Kampf gegen Zvatochna. »Was unternehmen wir heute? Worin möchtest du mich unterrichten?«
    Sainaa nahm ihn bei der Hand und führte ihn hinaus, ging die Stufen zum Dachboden hinauf und stieß ein kleines Fenster auf. Ohne eine Erklärung kletterte sie hinaus, und Vahidin folgte ihr neugierig.
    Sie standen auf dem Dach des Bürgermeisterhauses und überblickten das Dorf. »Da hinauf«, wies Sainaa ihn an. Sie erklomm einen Pfahl, der hinauf zu einem alten Kutschrad führte, auf dem ein Storchennest ruhte. Sie stellte sich trotz ihres Kleides sehr geschickt an. Die Stange schwankte unter ihren Kletterbewegungen, und es war nicht leicht, in das Geflecht aus dicken Zweigen, Ästchen und Blättern zu steigen. Es neigte sich nach rechts und links, während der Wind um sie herumstrich und ihr die Wärme aus dem Leib fegte. Ein Morgenmantel und ein Kleid B sie trugen die falschen Sachen, um sich lange im Freien aufzuhalten.
    »Was lerne ich heute, Sainaa?«, fragte Vahidin wieder, als er sah, dass sie einen kleinen eisernen Feuertopf aufgestellt hatte. Im Innern glühte ein Kohlestück.
    »Dass der Geist stärker als der Körper ist, Vahidin.« Sie nahm ein Beutelchen von ihrem Gürtel und gab die Pulver eines nach dem anderen hinein, bis dunkelgelber Qualm entstand. Er stieg zäh und behäbig auf, widersetzte sich den Kräften der Böen und bildete eine Wand zwischen ihr und Vahidin.
    »Atme tief ein, Liebster. Konzentriere dich und verlasse deine menschliche Hülle, wie ich es dir beigebracht habe. Die Geister des Windes werden uns mit auf eine Reise nehmen.«
    Vahidin sog den berauschenden Rauch tief in sich ein und spürte die Wirkung auf der Stelle. Die Macht der jengorianischen Tsagaan beruhte darauf, dass sie ihren Verstand durch die verschiedensten Substanzen ausschalteten und sich ganz auf die innere Stimme verließen. Sie gewährten ihr die Oberhand.
    Ihm war es inzwischen gelungen, diesen Zustand auch ohne diese Rauschmittel herbeizuführen und sich mit der veränderten Wahrnehmung umher zubewegen, doch es fiel ihm noch schwer. Er befand sich in den Lehr-, nicht in seinen Meistertagen. Aber Vahidin wusste, dass es nicht lange dauern würde, bis er Sainaa überrundet hätte.
    Nach dem fünften oder sechsten Atemzug driftete er aus seinem Leib. Die Sicht veränderte sich, er sah die wirkliche, stoffliche Welt heute in dunkelblauen Farben, die der Geister in leuchtendem Grau. Auch das veränderte sich jedes Mal aufs Neue, und es irritierte ihn nach wie vor. Es gab wenig Gesetze auf dieser Seite.
    Sainaa schwebte neben ihm. »Du bist schon da?« Sie wirkte erstaunt. »Das letzte Mal hast du viel länger benötigt.«
    »Ja. Ich weiß. Freust du dich nicht über meine Fortschritte?«, fragte er und klang dabei selbstherrlich. Da packte ihn der Geist des Windes und wirbelte ihn wie ein schnödes, einfaches Blatt immer höher und höher.
    Vahidin versuchte, sich gegen die Kraft zu stemmen, doch es war vergebens. Die Erde unter ihm wurde kleiner und kleiner, die Hausdächer und rauchenden Schlote wurden zu Punkten, während um ihn herum Schneeflocken tanzten.
    Vahidin verzweifelte. Er fühlte sich, als werde er von einem reißenden Fluss gepackt und mit geschwemmt. Kein Ufer, kein rettender Ast, um sich festzuklammern. Er trieb aufwärts, durch die Wolken, die eine wunderbare, intensiv grüne Farbe besaßen, bis er schließlich durch sie hindurch stieß und von gleißendem Licht geblendet wurde. Er schloss die Lider - aber es brachte nichts. »Sainaa!«, schrie er

Weitere Kostenlose Bücher