Faunblut
mitansehen, wie ein geliebter Mensch misshandelt wird.
Die Hintertür stand offen, Jäger und Wächter hatten sich darum geschart. Und nur wenige Schritte weiter wartete ein vergitterter Wagen. Gefangene saßen darin, doch durch die Gitter konnte sie niemanden erkennen, nur dass ein kräftiger Mann darunter war, sah sie. Auf der Stelle vergaß sie auch den letzten Rest von Vorsicht. »Jakub!«, schrie sie und rannte los.
Gesichter wandten sich ihr zu und pressten sich an die Gitter. Doch Jakub war nicht unter ihnen und auch von den anderen Gefangenen kannte sie keinen. Im nächsten Augenblick hatten zwei Jäger ihr bereits den Weg versperrt und packten sie an den Armen.
»Hier darf keiner durch.«
»Ich wohne hier!«, fauchte Jade sie an. »Ich muss zu meinem Vater! Jakub Livonius!«
Die Jäger sahen sich vielsagend an, aber sie ließen sie nicht los. »Dann halt die Klappe, bis die Hausdurchsuchung vorbei ist, und führ dich nicht so auf«, knurrte der Jüngere. »Um Livonius geht es hier gar nicht. Der ist nicht mal da.«
Das nahm Jade allen Wind aus den Segeln. Blitzartig fiel ihr ein, dass Jakub an diesem Morgen beim Präfekten vorsprechen wollte. Die Jäger schienen ihre Erleichterung zu spüren, denn sie schubsten sie nach hinten und traten vor sie, um die Linie wieder zu schließen. Jade musste über ihre Schultern spähen, um die Tür im Auge zu behalten. Eben traten zwei Träger aus dem Haus. Mit vor Anstrengung verzerrten Gesichtern schleppten sie einen flachen, mit einem Tuch verhüllten Gegenstand auf die Straße zu einem zweiten Wagen. Es blitzte, als der Wind ein Stück Leintuch anhob und die Sonne sich in einem runden, blanken Spiegel fing. Kein Zierspiegel aus Bronze, sondern Silber! Jade kniff die Augen zusammen. Den Spiegel hatte sie noch nie im Larimar gesehen. Am unteren Rand des Rahmens, der unter dem verrutschten Tuch hervorlugte, entdeckte sie ein Zeichen: ein Wappen mit zwei Kronen, die wie Original und Spiegelbild an einer senkrechten Linie angeordnet waren. Tandraj? , schoss es ihr durch den Kopf. Zwei Könige, zwei Kronen. Ein Raunen ging durch die Reihen der Jäger. Und auch die Schaulustigen, die sich längst am Rand der Straße eingefunden hatten, reckten die Hälse.
»Lasst meinen Spiegel!«, schrie eine Frauenstimme aus dem Hausinneren. Sie klang hoch und verzerrt. Jade konnte nicht fassen, was sie nun sah. Es ging wirklich nicht um Jakub. Und auch nicht um das Larimar. Es ging um Lilinn.
Sie wehrte sich mit aller Kraft, als zwei Jäger sie aus dem Haus zerrten. Ein stummer, erbitterter Kampf, den Lilinn mit erstaunlicher Routine führte. Jade schnappte nach Luft, als einer der Jäger der Köchin schließlich den Arm auf den Rücken drehte. Lilinn biss die Zähne zusammen, aber sie gab keinen Laut von sich. Hass funkelte in ihrem Blick, als der zweite Jäger das Messer zückte und ihren Verband mit einem schnellen Schnitt auftrennte. Ein Triumphschrei hallte aus einem Dutzend Kehlen, als er Lilinns Arm hochriss, damit die Umstehenden es sehen konnten: Über das linke Handgelenk zogen sich drei parallele, schon fast verheilte Schnitte.
Jade sprang zu den Jägern vor. »Das könnt ihr nicht machen! Sie ist unsere Köchin! Warum wird sie verhaftet?«
Der Ältere warf ihr über die Schulter einen geringschätzigen Blick zu. »Ihr hattet ein Kuckucksei im Nest. Feiner Plan, sich direkt vor der Nase der Lady zu verstecken.« Er grinste. »Siehst du die Wunde? Die stammt von Lord Minems Drilling. Sein Schwert mit den drei Klingen. Sieht so aus, als hätten wir hier ein Mitglied der Rebellengruppe, die Lord Minem ermordet hat.«
»Dabei hätten der Spiegel und die Karten, die sie im Keller versteckt hatte, schon für mehr als eine Hinrichtung gereicht«, fügte der andere Jäger hinzu.
Jade stolperte zurück. Sie spürte ihre Beine kaum mehr und musste sich an einer Hauswand abstützen, um nicht zu fallen. Sie sah den blutigen Brunnen vor sich und versuchte, sich vorzustellen, wie Lilinn mit einem Messer vor den Lord trat, aber ihr Verstand weigerte sich, das Bild zu vollenden.
Ein Strom flüchtiger Erinnerungen zog an ihr vorbei. Lilinn, wie sie in der Küche das Messer warf. Ihre betonte Freundlichkeit gegenüber Tam und Faun. Ihr Bemühen um Jakub und ihre ladytreuen Parolen, um jeden Verdacht zu zerstreuen. Und sie sah auch eine Lilinn, die in der toten Stadt versuchte, in der Nähe der Katzenbuckel-Brücke zwei Echos vor den Jägern zu warnen. All das kristallisierte sich zu
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