Faunblut
Leute zusammen und …«
»Lass mich, Manu! Ich muss jemanden finden!«
Ohne auf sein Fluchen zu achten, tauchte sie in der Menge unter und schob sich in Richtung Kirche.
Noch nie hatte sie so viele Bewaffnete gesehen. Ständig kamen neue Wagen auf den Platz gefahren. Inzwischen hatten die Jäger eine Front aus Körpern um die Käfige und die Kirche gebildet. Ihre Gewehre und die Galgos, die von den Leinen gelassen worden waren, hielten die Leute auf Abstand. Jade wartete, bis eine Jägerin den Blick wachsam über die Menge schweifen ließ, dann machte sie mit einem Winken auf sich aufmerksam. »Ich bin Jade Livonius!«, rief sie mit fester, ruhiger Stimme. »Ich habe eine Nachricht für Moira!«
Vielleicht kannte die Jägerin wirklich ihren Namen, möglicherweise beeindruckte sie auch nur die Selbstsicherheit, mit der Jade auftrat, jedenfalls nickte die Frau knapp. »Beim Kettenwagen hinter der Kirche«, rief sie unwillig. Gut geblufft , dachte Jade mit stillem Triumph.
Es war nicht einfach, die Kirche in gebührendem Abstand zu umrunden. Zu groß war inzwischen die Zahl der Leute, die von dem Jagdhorn herbeigerufen worden waren. Jade sah Menschen, die barfuß waren. Sie hatten sich nur einen Mantel über die Nachtkleidung geworfen und hielten nun verzweifelt nach dem verhafteten Mann, dem Bruder, der Mutter Ausschau. Jade wurde mehrmals abgedrängt, bis sie endlich Moira entdeckte. Ihr Arm war verbunden, sie stand neben einem Wagen und überprüfte mit der unverletzten Rechten die Haken, bevor die Gehilfen die Ketten aus dem Wagen hoben und zur Kirche trugen.
»Moira!«, brüllte Jade gegen den Lärm an. Die Jägerin hielt in ihrer Arbeit inne und wandte sich um. Irrte sich Jade oder hellte sich ihre Miene ein wenig auf? Sie gab ihr mit einer Geste zu verstehen, ein paar Schritte weiter an der Straße auf sie zu warten. Jade nickte und zog sich zurück. Sie musste fast eine halbe Stunde ausharren, die ihr wie ein ganzes Jahr erschien. Auch an der Längsseite der Kirche wurde inzwischen Käfig um Käfig aufgehängt – nicht so tief, dass jemand die Gefangenen erreichen konnte, aber tief genug, damit man jedes Gesicht noch gut erkennen konnte. Endlich winkte ihr Moira zu. Zwei Jäger traten zur Seite, um Jade durch die Lücke schlüpfen zu lassen. Es war ein gespenstisches Gefühl, die Menge hinter sich zu lassen und auf den freien Platz in der Mitte zu treten.
»Hast du es so eilig, wieder in Schwierigkeiten zu kommen?«, rief Moira ihr zu.
»Diesmal ist Lilinn in Schwierigkeiten!«, gab Jade ohne Umschweife zurück. »Sie wurde verhaftet.«
Moira sah nicht sonderlich überrascht aus. »Habe es schon gehört. Bist du deshalb hier? Du kannst ihr nicht mehr helfen, Jade. Geh nach Hause.«
»Das werde ich ganz sicher nicht tun! Ich muss sie sehen! Nur einen Moment, nur ein Wort.« Sie versuchte, in den seidengrauen Augen zu lesen, aber wie immer gab Moira keine Regung preis.
»Bitte, Moira!«, setzte sie hinzu. »Du kannst mich doch zu den Käfigen bringen?« Sie ballte vor Nervosität die Hände zu Fäusten und machte sich schon auf eine Diskussion gefasst, als die Jägerin endlich nickte.
»Tja«, meinte sie trocken. »Ich schätze, das bin ich dir nach dem Tanz mit dem Stier wohl schuldig.«
Im inneren Kreis hatte Jade zum ersten Mal das Gefühl gehabt, wieder Luft zu bekommen. Umso beklemmender war es, an Moiras Seite die Kirche zu umrunden und in die Nähe der Käfige zu kommen. Am liebsten hätte sie den Blick abgewandt, aber sie musste nach Lilinn Ausschau halten. Moira trat zu einem Mann am Flaschenzug. Auf ihre Frage hin entspann sich ein heftiger Streit. Jade entdeckte das erste bekannte Gesicht. Lilinn war es nicht, sondern einer der Rebellen, der in der Menagerie eines Lords gearbeitet hatte. Und auch andere Menschen waren ihr vertraut: Leute vom Schwarzmarkt, Verkäufer, Fremde, die sie nur vom Sehen kannte, und Verbündete. Meine Zeit läuft ebenfalls ab , dachte sie mit einem kribbelnden Anflug von Furcht. Einer von ihnen wird auch meinen Namen verraten.
»He, Jade!« Moiras Stimme riss sie aus ihren Gedanken. »Los!«
Jade musste beinahe rennen, um mit der Jägerin Schritt zu halten. Gemeinsam passierten sie einige Wächter an einem Seiteneingang der Kirche und traten in den Altarraum.
Hier war es kühl und beinahe verstörend still. Räucherwerk brannte und entließ tanzende Schlieren in die Luft. Es roch nach schwerem, süßlichem Weihrauch. Jade kam sich vor, als würde sie sich
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