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Faunblut

Faunblut

Titel: Faunblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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nicht einmal mehr ein Atmen hörte. Und sie begriff, dass es zumindest bei diesen Rebellen tatsächlich nicht auf die Zahl der Waffen ankommen würde, sondern vor allem darauf, wie sehr sie sich von Tanías Entschlossenheit mitreißen ließen. »Also?«, fragte Tanía in die Runde. »Die Echos sind tot! Worauf wartet ihr noch?«
    Hände verschwanden in Taschen, Rockfalten, Westen und Stiefeln, dann prasselten die Spiegelsplitter auf den Boden. Unregelmäßig geformte Lichtflecken huschten über die Wände. Im schwachen Licht der Kerze schienen die Scherben auf dem Boden zu glühen. Jade musste krampfhaft schlucken, um die Tränen der Enttäuschung zurückzuhalten.
    »Ihr werdet sterben«, versuchte sie, Tanía noch einmal umzustimmen.
    »Vielleicht«, erwiderte Tanía ernst. »Vielleicht aber auch nicht. Und gleichgültig wie es ausgeht, wir werden den Thron ganz sicher nicht einem Echo überlassen.«
    Jade ließ den Blick über die Gesichter wandern. Viele der Rebellen wirkten ebenso entschlossen wie Tanía, andere hatten immer noch die Scherben in der Hand, unschlüssig, ob sie sich davon trennen sollten. Zu wenige , dachte Jade. Hier richte ich nichts mehr aus. Nicht heute.
    Niemand hielt sie auf, als sie sich abwandte und auf das Loch in der Mauer zuging. Beinahe wäre sie gegen Nell gestoßen, die völlig außer Atem in den Raum stürzte. Sie schreckte vor Jade zurück, doch offenbar war sie viel zu sehr außer sich, um sie im Halbdunkel zu erkennen.
    »Die Lady!«, japste sie. »Sie lässt die Gefangenen auf den Kirchplatz treiben! Überall Verhaftungen! Und wir müssen sofort von hier verschwinden, die Jäger brechen im Nachbarhaus die Fenster auf!«

Kirche und Kerker
    Wie immer wenn die Rebellen fliehen mussten, zerstreuten sie sich wie ein Fischschwarm in alle Richtungen, kein Ziel mehr bietend, jeder einem anderen Versteck zustrebend. Das Letzte, was Jade von Tanía sah, als die Rebellin vor ihr aus einem Tunnel kroch, war ein Spiegelsplitter, der in der Sohle ihres Schuhs steckte. Kaum standen sie im Winkel eines Hinterhofs, suchte Jade besorgt nach Ben, aber der Alte war verschwunden, als wäre er davongeflogen.
    Nell hatte die Lage richtig eingeschätzt: Die Stadt kochte. Als hätte das Kommando eben erst richtig begonnen, fanden in vielen Häusern Verhaftungen statt, Käfigwagen rumpelten durch die Gassen, Menschen wehrten sich lautstark und mit Händen und Füßen dagegen, abgeführt zu werden.
    In diesem Teil der Stadt gab es für Jade genug Möglichkeiten, den Jägern auszuweichen: zahlreiche Nischen und Vorsprünge. Sie hangelte sich auf eine Steinbrücke, die sich über eine Straße spannte. Dort atmete sie im Sichtschutz einer Schwelle durch und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Immer noch brannte ihr Atem in den Lungen, so schnell war sie das letzte Wegstück gerannt. Tanía ist eine von vielen , beruhigte sie sich. Sie kann nicht alle Rebellen überzeugen. Ich muss mit Nell reden und den Anführern der anderen Gruppen.
    Der Wind drehte plötzlich und trug statt Straßenstaub nun den Geschmack von Salzluft mit sich und Geräusche und Rufe aus dem Palastviertel. Jade duckte sich unwillkürlich, als ein tiefer, vibrierender Ton erklang. Ein Jagdhorn? Es kam aus der Richtung der Kirche. Als hätte er die Bestien geweckt, erhob sich das Gebrüll aus den Menagerien. Hunde antworteten den Raubtieren und auch Kommandos hallten in der klaren Morgenluft. Beim Gedanken an Ruk und die anderen Gefangenen wurde Jade vor Mitleid ganz elend zumute. Sie wagte nicht, sich vorzustellen, was sie auf dem Kirchplatz erwartete. Und da war noch eine Sorge, die immer deutlicher in ihrer Brust pochte: Jakub. Ging es ihm gut? Hatten die Jäger das Larimar verschont? Jade zögerte noch eine Minute, dann kletterte sie kurzentschlossen von der Brücke und machte sich auf den Weg. Nur ein Blick , sagte sie sich. Nur sehen, dass alles in Ordnung ist.
    *
    Dieses Mal versuchte sie, die letzten Meter ganz bewusst langsam zu gehen, aber kurz vor den letzten Biegungen hielt sie es nicht mehr aus. Sie rannte über Pflastersteine und Marmor, und sie rannte immer noch, als längst Uferkies unter ihren Sohlen knirschte. Das Erste, was sie sah, waren die weit geöffneten Fenster. Krachen und Splittern erklangen. Einige Läden hingen schief in den Angeln und im Fluss trieb ein zertrümmerter Schrank. Jade schlug die Hand vor den Mund, um einen Schrei zu unterdrücken. Ihr Zuhause! Tränen stiegen ihr in die Augen, als müsste sie

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