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Faunblut

Faunblut

Titel: Faunblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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lebt. Und ich weiß auch, wo er auf uns wartet!«
    Sie holte Luft und sortierte ihre Gedanken. Wo sollte sie beginnen? Schließlich fing sie mit ihrem Spiegelbild an, das ihr aus dem Fluss zugewinkt hatte. Misstrauen huschte über die Gesichter, dann Unglauben, Erstaunen – und schließlich Fassungslosigkeit. Als Jade geendet hatte, herrschte eine ganze Weile lang Stille. Nur Ben wiegte sich vor und zurück und summte eine leise Melodie.
    Tanía stand auf und trat mit verschränkten Armen vor Jade hin. »Du meinst wirklich, sie erstehen aus Spiegelungen?«
    Jade nickte. »Ich habe es lange nicht verstanden. Das Echo unter der Brücke hatte ein Rissmuster auf der Wange – als hätte es in einen zerschmetterten Spiegel geblickt und diese Gestalt angenommen. Wie viele Scherben liegen noch am Grund des Flusses? Der Winterprinz hat die Macht, diese Reflexionen zu rufen.«
    »Und sobald sie die Gestalt angenommen haben, können sie getötet werden wie Menschen?«, fragte Tanía zweifelnd. »Und was soll das heißen: Der Prinz lebt – bedeutet das, die Jäger haben sich geirrt?«
    »Der Mann, den sie erschossen haben, kann nicht der Prinz gewesen sein.«
    Tanías scharfer Blick fiel auf Jades Hände, die sie vor Nervosität ineinander verkrampft hatte. Jade ließ ertappt los und versuchte, ruhiger zu werden. Das, was sie nun sagen würde, war so ungeheuerlich und unglaublich, dass sie all ihren Mut zusammennehmen musste. »Der Prinz hat keinen Körper und kein Blut. Er ist kein Mensch.« Sie ließ den Blick über die angespannten Gesichter schweifen. »Er ist ein Echo, und er wartet selbst darauf, aus seiner Zuflucht zu treten, um die anderen zu rufen.«
    Die Stille, die nun eintrat, schmerzte beinahe in den Ohren.
    »Aber … er ist der Sohn von einem der Tandraj-Könige«, sagte Tanía nach einer Weile. Jade nickte nur.
    Der Gedanke, der so ungeheuerlich war, schien seinen Weg nur mühsam in die Köpfe der Rebellen zu finden. Sie wehrten sich gegen ihn, sie runzelten die Stirn und schnaubten so verächtlich, als wollte Jade ihnen verkaufen, dass der Himmel grün sei.
    »Du willst hier tatsächlich behaupten, dass die Könige Echos waren?«, fragte ein Mann.
    »Das waren sie«, erwiderte Jade. »Und der Prinz lebt – aber nicht in der toten Stadt oder im Fluss. Sondern im Winterpalast.«
    »Woher willst du das wissen?«, fuhr Tanía sie an.
    Jade leckte sich nervös über die Lippen. Sie wünschte, Ben würde sie wenigstens ansehen, aber der Alte betrachtete den Lehmboden und summte immer noch sein verrücktes, kleines Lied, als ginge ihn die ganze Versammlung nichts an. Na wunderbar , dachte Jade. Lass du mich auch noch damit allein!
    »Keiner der Wächter wurde in der toten Stadt oder bei der Schädelstätte ermordet«, erklärte sie. »Sondern nur am Goldenen Tor und in der Nähe des Palasts. Selbst der Mann, den wir im Fluss gefunden haben, hatte beim Kanal neben dem Palast Wache gehalten. Ich glaube, die Echos strebten immer zum Palast – weil der Prinz sich dort befindet.«
    »Und warum ist er nicht stark genug, alle Echos zu rufen?«, wollte Leja nun wissen.
    »Er ist eine körperlose Reflexion. Aber ihm fehlt die Spiegelung, in der er Gestalt annehmen kann. Früher gab es Wasser im Palast. Arif hat erzählt, dass die Lady vor ihrem Sturm die Wasserversorgung kappen ließ. Es gab Brunnen und viele Spiegel. Überlegt doch: Warum sonst sollte die Lady die Spiegel aus dem Palast verbannen? Und dazu alles, was glänzt – sogar das Gold, das ja ebenfalls Spiegelungen hervorrufen kann? Sie wollte von Anfang an sicher sein, dass kein Echo in ihrem Palast auftauchen kann. Nur deshalb trinkt sie sogar Wein, der mit Asche vermischt ist, damit er trüb wird. Die Lady besiegte die Echokönige und ließ alles auslöschen, was an sie erinnerte. Nach dem Winterkrieg tötete sie die menschlichen Bewohner der Stadt bis auf einige wenige. Die Kinder, die sich nicht an die Könige erinnern würden, verschonte sie und ließ sie mit Schauermärchen über die Echos aufwachsen.«
    Tanía hatte die Lippen zu einem wütenden Strich zusammengepresst. Ihr Gesicht war blass und schien mit der flackernden Kerze heller und dunkler zu werden. Plötzlich wirbelte sie herum und packte Ben am Kragen. Der Alte ächzte, als sie ihn auf die Beine zog.
    »Du! Du hast sie gekannt! Ist es wahr? Gehörten die Tandraj-Könige zu ihnen?«
    »Alte Mörder, neues Blut«, sagte Ben kleinlaut.
    Jade sprang hinzu und legte ihm schützend die Hand auf die

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