Faunblut
kamen sie auf dem Boden auf.
Panik pochte heiß durch ihre Adern. Jades Wahrnehmung verschmolz zu schemenhaften Flecken, so schnell waren ihre Bewegungen. Zähne strichen über ihren Hals, bekamen sie aber nicht zu fassen. Sie wehrte sich mit aller Kraft, wand sich mit der Gewandtheit der Echos aus der Umklammerung, packte Fauns Haar und biss in seine Schulter. Blitzschnell zog sie das Bein an und trat ihm gegen die Hüfte. Er schrie auf, voller Wut, aber es gelang ihr, sich ihm endgültig zu entwinden. Ohne nachzudenken, fasste sie nach der Stange, die ihr beim Sturz entglitten war, und schlug zu. Das kann nicht sein!, flüsterte eine hysterische, verzweifelte Stimme in ihr. Wir können … wir dürfen uns nicht verletzen!
Zu sehen, wie Faun zu Boden ging, tat ihr selbst weh. Sie schluchzte auf, warf die Stange zu Boden und floh.
Der Rauch war so schlimm, dass sie husten musste. Im Rennen blickte sie über die Schulter zurück und sah, wie Faun wieder auf die Beine kam und ihr nachsetzte. Sie biss die Zähne zusammen und jagte zum Ende des Flurs, der eine Biegung nach rechts machte. Heißer Abendwind strich ihr über das Gesicht. Gerade noch rechtzeitig reagierte sie, um nicht zu stolpern, und sprang über eine Lawine von Steinbrocken. Flammenschein zuckte über die Reste einer Wand. Und vor ihr erstreckte sich das nachtblaue Meer. Jade kam schlitternd zum Stehen. Das Wasser auf dem Boden spritzte auf, dann schwappte es über den Rand des Trümmerlochs und ergoss sich wie ein Wasserfall an der Palastmauer in die Tiefe. Die Rebellen hatten den halben Gang weggesprengt. Haken und Seile staken in den Mauerresten und zeigten, wo Tanías Leute in den Palast eingedrungen waren. Der Rest des Ganges war zum Teil ein gähnendes Loch und zum Teil von einem Steinhaufen verschüttet. Und Jade wurde voller Grauen klar, dass sie in der Falle saß.
Schwer atmend drehte sie sich um. Hinter sich den Abgrund und das Meer, vor sich Faun, der eben um die Biegung kam. Er schwankte und schüttelte den Kopf, als sei er immer noch von ihrem Schlag betäubt.
Jade tastete mit zitternden Fingern nach der Waffe. Das tust du nicht , dachte sie benommen. Aber du bist ein Echo , hielt ihre vernünftige Stimme dagegen. Er riecht dein Blut, er wird dich töten!
»Geh zurück!«, schrie sie.
Faun ging weiter.
Sie schluckte und hob die Waffe. Mit dem Daumen schob sie den Hebel nach unten, der die Waffe entsicherte. Ihr Blut klopfte in ihren Schläfen und plötzlich spürte sie auch ihre verletzte Schulter wieder.
Vielleicht war Faun nicht bewusst, was die Pistole bedeutete, jedenfalls hatte er keine Angst davor.
Das ist Wahnsinn!
»Ich will dich nicht töten«, flüsterte sie. »Bitte, Faun!«
Ihr Zeigefinger zitterte am Abzug. Er blieb vier Schritte vor ihr stehen, doch er sah nicht auf die Waffe, sondern in ihr Gesicht. Sein Mund war verzerrt und sein Brustkorb hob und senkte sich wie unter großer Anstrengung. Sie sah den stummen Kampf in seinen Augen und erkannte darin dieselbe Verzweiflung, die sie selbst spürte. Ihre Arme sanken nach unten.
Tams Hund erschien wie aus dem Nichts. Vögel umflatterten sie. Und Tams kaltes Lächeln schien im Halbdunkel zu schweben.
»Töte sie endlich!«
Faun stöhnte auf, dann schloss er die Augen … und breitete die Arme aus. Sein zerrissenes Wams klaffte an seiner Brust auf und entblößte das Blauhäher-Tattoo.
Jade riss die Waffe hoch, zielte und drückte ab. Die Blauhäher flatterten erschreckt auf und schossen davon. Der Hund wich winselnd zurück, schüttelte irritiert den Kopf und lief zu seinem Herrn.
Faun gab keinen Laut von sich. Er öffnete die Augen nicht, er wurde einfach nur blass und brach zusammen. Tam taumelte. Er stützte sich mit der Rechten an der Wand ab und sank langsam zu Boden. Fassungslos sah er erst sein zerfetztes Wams an, und dann Jade.
»Bestie«, flüsterte sie mit erstickter Stimme.
Der Nordländer fiel auf die Knie, kippte zur Seite und blieb reglos liegen.
Jade ließ die Pistole fallen. Mörderin , dachte sie geschockt. Wasserringe flohen vor der Waffe und brachten Fauns Spiegelbild zum Tanzen.
Fauns Gesicht schmiegte sich an den nassen Boden, es sah aus, als würden das Ungeheuer und er Wange an Wange daliegen. Zum ersten Mal konnte Jade sein anderes Ich in Ruhe betrachten. Die Züge waren strenger und grausamer als bei einem Menschen, und die Haut war in Wirklichkeit nicht schwarz, sondern schimmerte beinahe indigofarben. Schwarzes Haar fiel dem
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