Faunblut
Echos, und auch die Lords, das sah Jade, wussten, dass der Krieg, der vor achtzehn Jahren begonnen hatte, noch längst nicht vorbei war. Nur einer Person sah man ihre Gedanken nicht an. Das starre Eisengesicht der Lady war ein seltsamer Gegensatz zu ihrer herrischen Geste und ihrer Stimme. »Tötet sie!«
Jade hob eine abgebrochene Stange auf, die früher einmal ein Schürhaken gewesen sein mochte. Gerade als sie wieder hochfuhr, flog ein Schwarm Vögel dicht über ihrem Kopf hinweg. Tams Blauhäher.
Faun!
Der Hass von vielen Jahren brach sich Bahn, als wären seit dem Ansturm auf den Palast der Echo-Könige nur Minuten vergangen. Jade konnte ihnen mit den Augen kaum folgen, so schnell sprangen die Echos ihre Gegner an. Schüsse krachten, Glas splitterte und von außen wehte schwarzer Rauch in den Saal und vernebelte die Sicht. Mitten im Kampfgetümmel entdeckte Jade für einen Augenblick Tams Gesicht. Ein Wächter hob das Schwert und Jade riss gerade noch rechtzeitig die Stange hoch. Der Aufprall zuckte durch ihre Handgelenke bis in die Arme. Dann kam ein Echo ihr zu Hilfe und sprang zwischen sie und den Wächter. Jade duckte sich und rannte in Richtung Tür. Sie hörte kaum den Lärm und das Schlagen von Eisen, so laut rauschte ihr das Blut in den Ohren. Sie stieß mit dem Fuß gegen etwas Weiches und fiel über eine lang ausgestreckte Gestalt. Die leblosen Augen waren weit aufgerissen und schienen erstaunt das Gemälde an der Decke zu betrachten.
»Nell!«, rief Jade mit erstickter Stimme. Ein Schluchzen schüttelte sie, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte.
Plötzlich veränderte sich etwas, es wurde ruhiger, die Rufe verschmolzen zu einem einzigen entsetzten Atemholen. Nur ein Klirren und ein metallisches Schleifen waren zu hören. Jade sah, wie nicht weit von ihr die Eisenmaske gegen die Wand stieß, im Wasser zweimal hin und her schaukelte und dann reglos liegen blieb.
Benommen stand Jade auf und blickte zur Mitte des Raumes. Die Szene hatte etwas Unwirkliches, und sie war kaum überrascht, Moira zu entdecken. Die Jägerin war blass, das konnte Jade trotz der Rußstreifen auf ihren Wangen erkennen. Zwischen den Körpern von Kämpfenden erhaschte sie einen Blick auf völlig verstörte Mienen, Jäger stolperten zurück, Lords brüllten ihnen zu, weiterzukämpfen. Selbst die Echos zögerten. Und dann sah Jade es auch.
Vielleicht war die Lady wirklich eine Gottheit, wie das Gesetz es befahl. Ein Mensch war sie jedenfalls nicht. Ihre Haut war so durchsichtig, dass man die Knochen durchscheinen sehen konnte. Zähne schimmerten durch die Oberlippe, Wangenknochen unter der transparenten, blutleeren Haut. Lady Tod , dachte Jade voller Grauen. Ben hatte recht. Einige der Jäger wichen zurück. Dann fiel ein Schuss. Die Lady zuckte zusammen, doch sie stürzte nicht. Ihr Gewand war an der Schulter zerfetzt, aber es floss kein Blut. Asche rieselte auf das Wasser.
Der erste Jäger schrie auf, stolperte zurück und ließ sein Gewehr fallen. »Kämpft, ihr Feiglinge!«, brüllte ein Lord. Dann nahm eine Rauchwolke, die durch die Tür quoll, Jade die Sicht.
*
Sie wusste nicht mehr, wie sie zum nächsten Flur gekommen war. Ihre Augen tränten von der beißenden Luft. Sie sah die Blauhäher, die mit ihrem Flügelschlag den Rauch verwirbelten, kaum. Echos schnellten an ihr vorbei und irgendwo in der Menge der Kämpfenden sah sie auch eine wütende Tanía und weitere Rebellen.
Es gelang ihr, einen Angreifer abzuwehren und unter einem Schwerthieb hindurchzutauchen. Doch als sie japsend zur Seite sprang, blickte sie plötzlich in ein vor Hass verzerrtes Gesicht. Lord Davan trug keine Maske mehr. Er stand nur drei Schritte von ihr entfernt und umklammerte mit beiden Händen eine Pistole. Jade hörte den Schuss, bevor sie begriff, was geschehen war. Ihre Ohren waren für mehrere Sekunden taub. Sie sah Münder, die auf und zu klappten, und Waffen, die lautlos aufeinandertrafen. Vorbei , dachte sie und blickte ungläubig an sich herunter. Keine Wunde, kein Schmerz. Noch weniger begriff sie, dass es Lord Davan war, der fiel. Die Geräusche kehrten mit einer Wucht zurück, die sie beinahe umwarf.
Mit offenem Mund sah sie sich um. Links neben ihr stand Moira, das Gewehr, das sie nur mit ihrem unverletzten Arm hielt, noch im Anschlag.
»Um deine Frage von gestern zu beantworten«, knurrte sie. »Es macht mir was aus. Es macht mir verdammt noch mal viel aus.«
»Danke«, brachte Jade hervor.
Moira nickte nur und wischte sich
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