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Faunblut

Faunblut

Titel: Faunblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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einem Holzstapel auf dem Rücken liegen. Wellen leckten an ihren Schultern und krochen in ihr Haar. Das war es , dachte sie. Ich bin tot.
    Über ihr schwebte ein steinerner Himmel. Er leuchtete durch den breiten Riss im Stoff wie eine Verheißung. Unwillkürlich musste sie lächeln. Die Tandraj-Könige waren eitle Herrscher gewesen. Das, was der Stoff verhüllt hatte, was ein Deckenfresko. Silberbeschichtete, glänzende Wolken bauschten sich darauf. Das grüne Band der Wila zog sich über die ganze Länge des Raums. Und mitten auf dem Strom, auf Thronen aus Flussblüten und Treibholz, waren zwei gekrönte Männer abgebildet. Nein, nicht Männer, nur menschenähnliche, helle Gestalten. Echos. »Tandraj«, flüsterte Jade. Und auf einem weiteren Thron hielten die zukünftigen Könige sich an den Händen: Zwillinge, kaum ein Jahr alt. Allen Figuren hatte der Künstler Augen aus spiegelndem, poliertem Gold gegeben. Die Zeit hatte an dem Gemälde genagt. Der rechte Prinz war verwittert und nur ein totes Abbild. Der linke aber schien Jade aus goldenen Augen zu mustern.
    Benommen setzte sie sich auf. Wasser floss aus ihren Haaren wie ein Sturzbach. Das Spiegelbild des Gemäldes waberte auf dem Boden und hielt dann still. Die Echozwillinge schienen mit den Bewegungen des Wassers mal zu lächeln und mal grimmig dreinzublicken. Und dann stand die Reflexion still. Nichts passierte, alles veränderte sich. Die Luft war weicher und dichter, Jades Haut kribbelte wie von einem elektrischen Impuls. Es war wie ein umgekehrtes Atemholen, als würde alles eingesogen und ihre Brust leer zurückgelassen. Das Wasser verharrte wie eingefroren. Ein Pulsschlag stand still. Etwas atmete aus. Und es begann.

Wasserblut
    Es war die Gestalt eines Kindes, die sich nicht weit von Jade aus dem nassen Spiegel erhob. Erst eine Schulter, dann der Kopf, Arme, die länger wurden und schlanker. Die Jahre flossen mit jedem Atemholen weiter durch die Gestalt hindurch. Staunend beobachtete Jade, wie das Gesicht seine Unschuld verlor und markanter wurde, erwachsener. Und in dieser einen fließenden Bewegung, mit der der Winterprinz sich erhob und tief Luft holte, hatte er achtzehn Jahre überbrückt. Ein junger Mann mit flussgrünen Augen und weißer Haut stand vor Jade. Die Kälte der Strömung strahlte von ihm ab, doch Jade fror nicht nur deshalb so sehr, dass ihre Zähne aufeinanderschlugen. Jakubs Ermahnung fiel ihr wieder ein: Ein kriegerisches Volk. Achtzehn Jahre Zorn standen in diesen Augen. Als der Prinz einen Schritt auf sie zuging, kroch sie hastig zurück. Der Prinz musterte sie feindselig, und sie wusste, dass er sie erkannt hatte. Halb Echo, halb Mensch – würde er sie töten?
    »Wir sind keine Feinde«, flüsterte sie. Sie wusste nicht, ob er sie verstand, aber sie fühlte wieder das Ziehen, Gedanken, die sich wie unsichtbare Finger nach ihr ausstreckten. Dann schnellte er vor. Jade fiel mit einem Schrei zurück und riss die Arme schützend vors Gesicht. Sie hörte Nells Stimme und ein Krachen, aber sie selbst fühlte keinen Schlag. Als sie zu blinzeln wagte, sah sie, dass der Prinz nur eine Eisenstange aufgehoben hatte, die neben ihr lag. Während sie noch starr vor Schreck auf die Waffe starrte, nickte er ihr zu und rannte mit dem gleitenden geschmeidigen Gang der Echos zur Mitte des Flurs. In Jades Träumen war sein Ruf ein misstönender Klang gewesen, doch als der Prinz nun den Kopf in den Nacken legte und den Mund öffnete, war der Ton klar und schneidend und so laut, dass das Wasser sich kräuselte. Jade schloss die Augen und spürte der Gänsehaut auf ihrem Herzen nach. Sinahe , dachte sie und war einen Wimpernschlag lang einfach nur glücklich.
    Knirschen und Splittern rissen sie aus dem schwebenden Gefühl. Sofort rappelte sie sich auf und sprang auf die Beine. Das Wasser um sie herum kochte wie in einem Sturm. Gestalten wuchsen aus dem Wasser, verloren ihre Transparenz und bekamen Gesichtszüge und grüne Augen, die vor Wut blitzten. Sie sahen menschenähnlich aus, aber die Flinkheit ihrer Bewegungen verriet sie. Im selben Augenblick, als die Jäger durch die Tür brachen und in den Raum stürmten, waren die Echos endgültig in ihr Leben zurückgekehrt. Einer der Jäger stolperte vor Verblüffung, und selbst die fünf Lords, die ihnen mit gezückten Schwertern folgten, zögerten.
    Sie standen einer Armee von weißen Kriegerinnen und Kriegern gegenüber, bewaffnet mit Stangen und Holzpfählen. Erkennen huschte über die Züge der

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