Faunblut
erfasste sie die Lage. »Styx sei Dank!«, sagte sie und wurde sofort wieder ernst. »Der Kampf ist vorbei. Es herrscht Waffenstillstand, im Moment jedenfalls.«
Jade kam mühsam auf die Beine. »Wer hat gewonnen?«, fragte sie mit schwacher Stimme.
Moira spuckte verächtlich aus. »Die Lady ist geflohen. Acht Lords haben bis zum Letzten gekämpft. Lord Lomar und Lord Palas haben sich ergeben, die Jäger, die nicht übergelaufen sind, haben die Waffen niedergelegt. Bleiben also noch die Echos und Rebellen. Im Moment lassen sie die Käfige runter. Und dein Vater spricht mit dem Echoprinzen.« Sie zog die linke Augenbraue hoch. »Der treueste Anhänger der Lady beherrscht ihre Sprache«, meinte sie sarkastisch. »Jede Stadt braucht ihre Verräter, was?«
Jade fiel ein Stein vom Herzen. Moira schritt ohne Umschweife zu Faun, packte ihn am Handgelenk und zog ihn auf die Beine. Er schwankte, doch er richtete sich auf und ließ es zu, dass Moira ihn stützte.
»Los Rebellin!«, rief Moira Jade zu. »Zeit, dass wir ihn rausschaffen und gut verstecken, bevor die Echos ihren Blutjäger aufspüren. Geschmack an Rache haben sie nämlich!«
Sie wollte loslaufen, doch Faun stemmte sich gegen ihren Griff.
»Der Schlüssel!«, rief er und deutete auf Tam. »Ich brauche den Schlüssel zu Jays Käfig!«
Der Glanz der Fremde
Innerhalb weniger Tage hatte sich das Larimar mehr verändert als in all den Jahren zuvor. Mit Manus Hilfe hatte Jakub Tische und Teppiche in den Bankettsaal geschleppt, dazu Stühle, die nicht zerbrochen waren, ein altes Sofa und ein Bett für Ben, da der Alte die steilen Treppen nur schlecht bewältigte. Kein Fenster war mehr mit Holzlatten zugenagelt, stattdessen fiel Licht in alle Räume. Und als Jade nun das Knarren von Schritten über sich hörte, wusste sie, dass es nicht länger die Gespenster waren, sondern Menschen, denen das Larimar seit dem Sieg der Echos und der Rebellen als Unterschlupf und Zuflucht diente. Sie lächelte und zog die Gurte an ihrem Rucksack fest. Es würde noch eine Weile dauern, bis sie ihn tragen konnte, die Wunde von dem Streifschuss an ihrer Schulter begann gerade erst zu verheilen. Und dank Lilinns Pflege heilte sie gut.
»Und du willst es dir wirklich nicht anders überlegen?«, fragte Jakub mürrisch.
Jade drehte sich zu ihrem Vater um, verschränkte die Arme und lächelte statt einer Antwort nur ironisch. Alle Worte dazu waren längst gesagt und auch Jakub nickte schließlich widerwillig. »Alles, was fremd ist, glänzt und lockt, nicht wahr?«, knurrte er. »Du bist Tishma wirklich ähnlich. Wie Elstern, die nicht widerstehen können, wenn sie irgendwo eine Silbermünze im Gras liegen sehen!«
Jade lachte, trat vor und umarmte ihn. »Ich würde dich ja mitnehmen, alter Mann, aber die Echos brauchen ihren Dolmetscher und Lilinn jemanden, der mit den Leuten im zweiten Stock fertig wird.«
»Brauche ich nicht«, widersprach Lilinn und grinste. »Jakub braucht jemanden, der seine schlechte Laune erträgt, wenn er vor Sorge um dich nicht schlafen kann.«
Lilinn sah immer noch mitgenommen aus. Ihre Haut schälte sich vom Sonnenbrand, aber Jade hatte sie noch nie so glücklich erlebt.
»Komm wieder«, murmelte Jakub. »Dinge ändern sich, auch in dieser Stadt, aber das muss ich dir ja wohl nicht sagen.«
Jade nickte nur und schloss die Augen, als ihr Vater sie auf die Wangen und die Stirn küsste, dann verabschiedete sie sich auch von Lilinn. Ben zu umarmen, bereitete ihr den meisten Kummer. Der Alte schien in den vergangenen Tagen noch zerbrechlicher geworden zu sein. Hundert Jahre , dachte Jade. Ob ich ihn wiedersehe?
»Keine traurigen Gedanken«, rief Ben mit seinem listigen Grinsen und zwinkerte ihr zu. »Lady Tod hat uns doch verlassen.«
Jade schluckte und sah sich ein letztes Mal im Bankettsaal um. Dort, wo Jays Käfig über den Boden geschleift worden war, zeigten sich Kratzer im Marmor.
Martyn wartete schon an der Wassertreppe. Jade reichte ihm den Rucksack, dann sprang sie selbst in das schwarze Boot. Es war ein kühler Morgen, Nebel stieg aus dem Fluss auf, aber sie konnte trotzdem erkennen, wie Amber ihr zuwinkte. Und wieder wünschte sie sich nichts so sehr, wie die wahre Gestalt ihrer Schwester zu sehen. Ob sie bei mir bleiben wird, wenn ich den Fluss verlasse?
»Fertig?«, rief Martyn. Jade rang sich ein Lächeln ab und nickte. Bis jetzt hatte sie sich trotz aller Wehmut darauf gefreut, das Larimar zu verlassen, nun aber machte es ihr doch zu
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