Faunblut
immer ein Hotel?«
Jade glaubte, sich verhört zu haben. Fauns Reaktion wäre weniger seltsam erschienen, wenn sie nicht solche Ähnlichkeit mit Jakubs Denkweise gehabt hätte: die Gefahr ignorieren, das Alltägliche wichtig nehmen. Sie wollte es nicht zugeben, aber es machte Faun sympathisch. Obwohl sie Distanz halten wollte, wünschte sie sich, dass er sie wenigstens ansah.
»Soviel ich weiß, war das Larimar das Haus eines Adeligen«, antwortete Lilinn. »Aber genau weiß ich es nicht, ich wohne erst seit drei Monaten hier.«
»Wirklich? Wo hast du vorher gelebt?«, fragte Faun.
Lilinn schluckte und wurde rot. »Frag Jade, wenn du etwas über das Larimar wissen willst! Sie ist hier aufgewachsen.«
Jade zögerte. Nun gut: Zumindest bot sich ihr hier die Chance, mit Faun ins Gespräch zu kommen.
»Es gibt viele Geschichten darüber. Eine erzählt, dass Jostan Larimar das Haus für seine Geliebte errichten ließ. Er traf sie auf einer Reise – weit hinter den Wäldern, in einem Land, in dem die Menschen unter freiem Himmel lebten, ohne Häuser und Städte. Was er nicht wusste: Sie war eine Fee, und es war ihr verboten, einen Menschen zu berühren. Aber sie liebte ihn so sehr, dass sie ihre Familie verließ und ihm folgte. Viele Monate zogen sie von einem Ort zum anderen, aber schließlich führte Jostan sie in seine Stadt. Doch sie war rastlos, und es machte ihr Kummer, in engen Wänden zu leben. Also ließ Jostan das Larimar erbauen. Auf diese Weise konnten sie jede Nacht in einem anderen Zimmer schlafen – so als wären sie auf Reisen.« Faun schwieg. Lilinn zupfte nervös an dem Verband an ihrer Hand. »Eines Tages fand ihre Familie sie und ihren Geliebten«, fuhr Jade fort. »Sie töteten Jostan. Seine Geliebte trauerte so sehr um ihn, dass sie sich auflöste und zu einem Fluss aus Tränen wurde. Die Geliebte hieß Wila. Und sie fließt heute noch durch die Stadt ins Meer. Die schwarzen Trauerschwäne erinnern an ihre Liebe und ihren Schmerz.«
Lilinns Lächeln war während der Geschichte endgültig erloschen. »Ein richtiges Märchen«, sagte sie mit harter Stimme. »Ich sage euch, was wirklich passiert ist: Als Larimar genug von ihr hatte, setzte er sie vor die Tür und lud die nächste Frau in sein Bett. So sehen nämlich die echten Geschichten aus.«
Mit diesen Worten nahm sie die leere Reuse und rauschte aus der Küche. Jade überlegte, ob sie ihr folgen sollte, doch die Tür zum Keller knallte laut zu. Ein mahnendes Signal, dass Lilinn allein sein wollte.
»Ich hoffe, es war nicht der tote Lord, der deiner Freundin Liebeskummer bereitet hat«, stellte Faun trocken fest. »Dann wäre zumindest dieses Rätsel gelöst.« Er strich sich mit dem Zeigefinger über die Kehle.
»Lilinns Angelegenheiten gehen dich nichts an.«
Er biss in die Birne und grinste spöttisch. »Vermutlich nicht. Kennst du sie gut?«
Warum schaut er mich nicht an? , dachte Jade verärgert. Doch ohne dass sie es wollte, sah sie sich selbst mit seinen Augen: Das zerwühlte, widerspenstige Haar, die Schatten unter den Augen. Neben Lilinn musste sie wirken wie eine Distel neben einer Lilie. Was zum Teufel spielt das für eine Rolle?
»Soll das ein Verhör werden?«, fragte sie.
»Schon möglich.« Seine Lippen zuckten. Beinahe ein Lächeln. Aber nur beinahe.
»Dann schlage ich dir einen Handel vor. Antwort gegen Antwort!«
Er hörte für einen Moment auf zu kauen. Dann schluckte er, warf den Birnenbutzen in den Eimer mit Küchenabfällen und verschränkte ebenfalls die Arme.
»Also?«
Jade beschloss, mit den weniger verfänglichen Fragen zu beginnen. »Was bedeuten die schwarzen Flammen auf deinem Unterarm?«
Faun ließ sich mit der Antwort Zeit, als würde er die Frage in Gedanken hin- und herwenden und jede mögliche Seite prüfen. Doch dann zuckte er gleichgültig mit den Schultern.
»Das Zeichen des Nordlands, aus den Tierläuferbergen. Es gibt eine Zeit im Jahr, da geht die Sonne nicht auf.«
»Lebt ihr dann im Dunkeln?«
Faun legte den Kopf etwas zurück. »Das waren schon zwei Fragen!« Es wirkte arrogant, wie er nun auf sie herabsah. Nun, immerhin schafft er es jetzt, mich anzuschauen , dachte sie.
»Die Antwort auf deine Frage: Jakub und ich kamen vor siebzehn Jahren ins Larimar. Ein Jahr nach dem Winterkrieg.«
Seine lässige Haltung bekam unmerklich etwas mehr Spannung. Es hatte funktioniert. Sein Interesse war geweckt.
»Wir leben im Dunkeln, solange die Sonne schläft«, beantwortete er nun ihre Frage.
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