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Faunblut

Faunblut

Titel: Faunblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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»Nach eurer Zeitrechnung vier Monate lang. In dieser Zeit ist das Jagen besonders schwer. Du musst lernen, im Wald jeden Schatten zu lesen.«
    Tierläuferberge. Im Wald. Das Jagen. Es gab auch Städte im Nordland. Doch die Vorstellung, dass jemand draußen lebte, faszinierte Jade weitaus mehr. Vor allem wenn es stimmte, was man sich über die nordischen Berge erzählte: Menschen mit Wolfsköpfen gab es dort, und Raubkatzen, die menschliche Stimmen nachahmen konnten, um ihre Beute anzulocken.
    »Was ist im Winterkrieg passiert?«, wollte Faun wissen.
    »Die Lady eroberte die Stadt«, sagte Jade knapp. »Die Stadtherren und die vorherigen Herrscher ließ sie töten und alle Diener und die meisten Bewohner ertränken.«
    »Sie macht wohl keine Gefangenen.«
    Jade schüttelte den Kopf. Sie musste sich räuspern, um weitersprechen zu können. »Die Kinder ließ sie am Leben, aber alle, die den früheren Herrschern gedient hatten, wurden ermordet. Es gibt nur noch wenige, die den Beginn ihrer Herrschaft erlebt haben. Die älteren Leute, die heute in der Stadt leben, kamen im Gefolge der Lords und der Handwerker, die die neue Stadt errichteten.«
    »Aber dein Vater hat überlebt.«
    Langsam wurde ihr unbehaglich zumute. Die alte Erinnerung drängte an die Oberfläche: ein Weinen. Und Jakubs Hals, an den sie sich klammerte, während um sie herum Fackeln brannten.
    »Es gelang ihm, sich lange genug zu verstecken, ja.«
    »Da hatte er ja Glück.« Die Ironie in Fauns Stimme ärgerte sie. Sie streckte den Arm aus und deutete auf ihr Lilienzeichen.
    »Siehst du das? Wir sind Bürger der Stadt. Auch Jakub trägt Lady Mars Zeichen.«
    »Ein Zeichen kann auch eine Belohnung sein. Fragt sich nur, wofür.«
    »Du misstraust jedem, oder?«
    »Gesetz des Waldes«, erwiderte er ohne ein Lächeln. »Vertrauen ist nur ein anderes Wort für Kennen. Wer hat vor der Lady geherrscht?«
    »Könige. Sie stammten von den Inseln.«
    »Dann wart ihr also schon immer Sklaven fremder Herrscher?«
    »Was weißt du schon von Sklaverei!«, fauchte sie. »Habt ihr keine Gesetze und Einschränkungen?«
    Verteidige ich hier etwa die Lady? , fragte sie sich im selben Augenblick erschrocken.
    Er zuckte mit den Schultern. »Im Wald jagst du – oder du wirst gejagt.«
    »Das ist in der Stadt nicht anders«, sagte sie. »Man muss die Regeln kennen und sie manchmal auch brechen, um davonzukommen. Und die Regeln ändern sich ständig.«
    »Warum geht ihr nicht fort und sucht euch einen Ort ohne Herren?«
    Ob ihm bewusst war, dass er den wunden Punkt genau getroffen hatte? Das waren ihre verbotenen Gedanken. Es war verstörend, sie aus dem Mund eines Fremden zu hören.
    Weil ich meinen Vater nicht allein zurücklassen kann , hätte ihre ehrliche Antwort gelautet. Weil irgendetwas ihn hier hält, etwas, zu dem ich keinen Zugang habe.
    »Es ist unsere Stadt«, erwiderte sie stattdessen.
    »Meine Heimat.« Sie wünschte, es hätte überzeugender geklungen.
    »Und ihr zahlt gerne Tribut dafür, in eurer eigenen Stadt leben zu dürfen?«, spottete Faun. »Das sind Gesetze, die ich nicht verstehe.«
    Heute machte es sie nicht wütend, nur traurig, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Natürlich sind wir Sklaven , dachte sie niedergeschlagen.
    »Und deine Mutter? Starb sie auch im Winterkrie …?«
    »Diese Frage beantworte ich nicht!«, unterbrach ihn Jade barsch. »Du bist dran mit den Antworten, Faun! Warum geht ihr heute zum Palast? Ihr seid Jäger, nicht wahr? Hat die Lady euch wegen der Echos rufen lassen?«
    Faun war so überrumpelt, dass er die Augen aufriss. Im schrägen Licht sah sie, dass er sehr wohl Pupillen hatte. Die Iris erschien nicht länger obsidianschwarz, sondern war von einem tiefen, katzenhaften Kupferbraun.
    »Wie kommst du darauf?«
    »Ist das etwa kein Echo in der Kiste?« Die Frage war ihr herausgerutscht und sie verfluchte sich sofort für diese Dummheit.
    Faun lachte! Es brach einfach aus ihm heraus und verwandelte ihn ganz und gar. In dieser Sekunde war er nur ein junger Mann, der über einen Scherz jeden Ernst verlor. Und Jade gestand sich zum ersten Mal ein, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte wie zu einem Schmerz, den man fürchtet und gleichzeitig sucht.
    »Ein Echo?«, rief er fassungslos und schüttelte den Kopf. »Wie stellst du dir das denn vor?«
    Die Reaktion war so ehrlich und unmittelbar, dass Jade gar nicht anders konnte, als ihm zu glauben. Für eine Sekunde war die Verbindung zwischen ihnen wieder da. Auch Faun schien es

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