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Faunblut

Faunblut

Titel: Faunblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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erklang ein dumpfer Laut, das Holz vibrierte unter ihren Fingern, als der Hund sich dagegen warf. Jade drehte mit zitternden Fingern den Schlüssel im Schloss und stolperte zurück. Das Knurren, das von der anderen Seite durch die Tür drang, ging ihr durch und durch. Sie rannte zurück zu den Prunkräumen, den Bronzeleuchter fest in der Hand.
    Erst als sie noch zwei weitere Türen zwischen sich und den Hund gebracht hatte, blieb sie schwer atmend stehen. Das Blut rauschte in ihren Ohren. Um sie herum war es nun gespenstisch ruhig. Auf Zehenspitzen betrat sie Tams Reich. Überall das gleiche Bild: Verwüstung, Regenflecken, Staub. Der Wind hatte trockene Blätter und Federn durch die Fenster geweht, die sich im Luftzug wie Meerschaum am Teppichrand kräuselten. Der Anblick der Zerstörung schmerzte Jade. Warum hatte Tam das getan? Oder war es gar nicht sein Werk gewesen?
    Noch einmal nahm sie allen Mut zusammen, dann näherte sie sich mit klopfendem Herzen den Käfigkisten. Sie hatte erwartet, ein Scharren darin zu hören, irgendein Zeichen von Leben, doch es blieb totenstill. Vorsichtig streckte sie die Hand aus und tippte mit dem Leuchter eine der Kisten an. Das knarrende Geräusch ließ sie zurückspringen. Die Türklappe schwang auf, bewegte sich im Luftzug, doch nichts geschah. Jade schlich in großem Bogen um die Kiste herum und blickte in eine leere Kammer. Kratzspuren bildeten ein abstraktes Muster an den Wänden und am Boden. Sie tippte noch ein Türchen an und noch eines. Kein Zweifel: Alle Kisten waren leer. Der nächste Gedanke war keinen Deut beruhigender: Wo waren die Bewohner der Käfige?
    Das Geräusch des Fahrstuhls ließ sie zusammenfahren. Tam kam zurück! Das Klacken klang hier oben leise und gedämpft, es war schwer einzuschätzen, auf welchem Stockwerk sich die Kabine gerade befand. Wie lange hatte sie noch? Zwanzig Sekunden?
    Endlich gehorchten ihr die Beine. Sie schnellte los und rannte durch die Verbindungstür in Richtung des Fensters, durch das sie hereingeklettert war. Die rote Stunde ging in dieser Stadt schnell vorbei. Der Himmel leuchtete nicht mehr rubinrot, stattdessen senkte sich nun eine blassviolette Dämmerung über die Häuser und Ruinen. Jade stolperte über eine Teppichfalte und wäre um ein Haar gestürzt. Sie rappelte sich auf und erreichte endlich das Fenster. Sie konzentrierte sich so sehr auf den Fahrstuhl, dass ihr ein anderes Geräusch erst auffiel, als es zu spät war. Flattern. Sehr nah. Sie erhaschte einen Blick auf leuchtend blaues Gefieder und schwarze Halsringe aus Federn. Dann wirbelte die Wolke aus Flügelschlag und spitzen Schnäbeln schon auf sie zu. Mit einem Keuchen wich Jade zurück. Es waren mindestens zwanzig Vögel – ein Schwarm, der durch das Fenster in das Prunkzimmer flog. Blauhäher!
    Instinktiv sprang sie zur Seite, um dem Schwarm auszuweichen, doch als die Vögel einen scharfen, federschnappenden Bogen flogen, erkannte sie mit flammend heißem Schreck, dass sie ganz sicher nicht vorhatten, vor ihr zu fliehen.
    Sie schrie auf, als der erste Schnabel nur knapp ihr Auge verfehlte und schmerzhaft in ihre Schläfe hackte. Krallen verfingen sich in ihren Locken. Flügel trafen ihre Wangen wie Ohrfeigen. Sie nahm den pudrigen Geruch von Vogelbälgen wahr und schmeckte bitteren Federstaub. Ihre Hände brannten unter den stechenden Hieben der spitzen Schnäbel, doch noch gelang es ihr, das Gesicht zu schützen. Wie ein Gaukler drehte sie sich im Versuch, die Tiere abzuschütteln, doch sie kehrten nur umso wütender zurück. Ein dumpfer Laut erklang, als sie zwei Blauhäher mit dem Leuchter traf. Ein Vogel erwischte ihre Unterlippe mit dem Schnabel und der jähe, stechende Schmerz ließ sie aufschreien. Schwarze Augen funkelten sie an. Jade wirbelte herum, tauchte unter einem neuen Ansturm hinweg und wollte fliehen. Sie verhedderte sich im verrutschten Teppich und verlor das Gleichgewicht. Der Leuchter fiel ihr aus der Hand, sie stürzte – doch der Aufprall kam nicht. Fell streifte ihr Gesicht, eine Hand legte sich wie eine Klammer um ihre Taille und etwas riss grob an ihren Haaren.
    »Lauf«, zischte ihr eine vertraute Stimme ins Ohr. Jade gehorchte, die Hände vor die Augen geschlagen, stolpernd und geduckt. Der Hund knurrte hinter der geschlossenen Tür, nur daran erkannte sie, dass sie im Flur war. Dann rasselte direkt vor ihr das Messinggitter und ein grober Stoß schleuderte sie gegen das glatte Holz der Fahrstuhlkabine. Der Schlag nahm ihr die

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