Faunblut
Überraschung erholen konnte, das Wort »Echo« aus Jakubs Mund zu hören, verblüffte ihr Vater sie gleich ein weiteres Mal: Mit einer behutsamen, sanften Geste legte er den Arm um Lilinns Schultern. Und Lilinn zuckte zwar zusammen, doch sie ließ die Berührung zu.
»Uns wird nichts passieren«, sagte Jakub.
»Ach ja? Wie willst du es verhindern?«, antwortete Lilinn hart.
»Verhindern können wir nichts, aber immerhin sind wir zusammen«, erwiderte Jakub mit einer Ruhe, die Jade an ihrem Vater selten erlebt hatte. »Darum geht es doch. Zusammen zu sein und zu bleiben, was auch geschieht.« Die beiden sahen sich bei diesen Worten nicht an, doch da war eine neue Art der Vertrautheit zwischen ihnen, so als hätte Jakub die Hand ausgestreckt und die unglückliche Lilinn wäre einen Schritt auf ihn zugegangen.
Fauns Bestie röchelte und winselte und verstummte dann endlich. Nell war bei diesen Lauten totenbleich geworden.
»Sobald der Blutrausch vorbei ist, kriechen die Überlebenden wieder ans Tageslicht«, fuhr Jakub fort. »Das ist Krieg. Man stirbt oder man überlebt und findet eine Möglichkeit weiterzumachen. Wir müssen abwarten und ausharren. Und dann zahlen wir weiterhin unseren Tribut und mischen uns nicht in die Geschäfte der Lady und der Lords. Das ist unser Leben, ob es uns gefällt oder nicht.«
Jade krampfte die Hand um ihre Tasse. Das war Jakub, wie sie ihn kannte – aber heute war sie wütender denn je über seine Resignation. »Es gefällt uns nicht!«, sagte sie mit Nachdruck. »Auch dir nicht, Jakub!«
Nell nickte und besann sich gerade noch rechtzeitig darauf, dass es keine gute Idee war, auf einen blank gescheuerten Küchenboden zu spucken. »Meine Worte«, murmelte sie. »Also, wenn’s nach mir ginge … Wenn es wirklich Aufständische wären, dann …«
Jakubs Faust sauste auf den Tisch. »Solche Worte sagt ihr nicht in meinem Haus!«, donnerte er. »Seid ihr noch ganz bei Sinnen?«
Lilinn war zusammengezuckt und griff mit der verbundenen Linken reflexartig nach ihrer Tasse, die vom Tisch zu kippen drohte.
»Es ist nicht dein Haus«, sagte Jade ruhig, aber mit klopfendem Herzen. Noch nie hatte sie diese Wahrheit ausgesprochen, aber hier, inmitten von Donner und Gewehrschüssen, schien es das einzig Richtige zu sein. »Wir sind rechtlos und das weißt du ebenso gut wie ich.« Es fühlte sich an, als würde ihr eine Last von der Seele rutschen. »Wirklich nicht viel besser als Sklaven«, wiederholte sie ihre Gedanken in der plötzlichen Stille laut.
»Jakub nicht«, bemerkte Manu grinsend. »Er weiß, wie man mit den Lords umgeht, und steht gut mit dem Präfekten der Lady.«
»Und genau das ist der Grund dafür, dass Schwarzmarktgesindel wie ihr in Sicherheit bei mir herumsitzen kann«, knurrte Jakub. »Und jetzt kein Wort mehr, wenn du nicht draußen die Patrouillen besuchen willst.«
»Wer hört uns hier denn schon?«, sagte Manu. »Die Krebse in den Töpfen? Gib es doch zu, Jakub. Du gehörst doch gar nicht zu ihnen. Du verrätst keinen, du hilfst uns ›Schwarzmarktgesindel‹, wo du kannst. Jeder Blinde sieht, dass dir die Suppe ebenso wenig schmeckt wie uns.« Jade versetzte Manu unter dem Tisch einen warnenden Tritt gegen das Schienbein, doch er ließ sich nicht bremsen. »Wenn du die Möglichkeit hättest, würdest du die Lady doch genauso wie wir lieber heute als morgen aus der Stadt jagen.«
»Scht!«, machte Nell und sah sich ängstlich um.
Jakub sprang auf. »Hüte deine Zunge!«
»Hört auf«, befahl Lilinn ruhig. Zu Jades Überraschung entspannten sich Jakubs zu Fäusten geballte Hände. »Wir wissen alle, dass Jakub recht hat«, fuhr die Köchin fort. »Seid froh, dass er euch die Tür geöffnet hat.«
Jade blieb vor Verblüffung der Mund offen stehen. Und auch über Manus Gesicht huschte der Anflug von Sorge.
»Wir vergessen alles, was hier gesagt wurde«, sagte Lilinn und lächelte beruhigend. »He, seht mich nicht so an, als wäre ich eine Spionin der Lady!« Manu atmete sichtlich auf, aber er schwieg. Jade wich Jakubs prüfendem Blick aus und betrachtete den Tisch, auf dem sich die Spuren unzähliger Messerschnitte abzeichneten. Ihr Entschluss stand fest: Mochte Jakub sich im Larimar verkriechen und Lilinn sich auf seine Seite schlagen – Jade würde den Kopf nicht einziehen. Erst einmal würde sie herausfinden, was sich in den Kisten im vierten Stock befand. Heute war die Gelegenheit günstiger denn je. Und schon morgen vielleicht führte ihr Weg zu Ben.
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