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Faunblut

Faunblut

Titel: Faunblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Wenn sie sich nicht irrte, war er nicht ganz so verrückt, wie alle glaubten. Und wenn sie nicht völlig auf der falschen Fährte war, hatte er ihr einen sehr genauen Hinweis darauf gegeben, wo sie ihn finden würde.

Die Augen des Suchers
    Die Explosionen hörten erst am frühen Abend auf, doch auch danach kehrte keine Ruhe ein. Manu und Nell hatte Jakub in einem Lagerzimmer einquartiert und ihnen das Versprechen abgenommen, das Haus sofort zu verlassen, sobald die Gäste zurückkehrten. Doch Tam und Faun kamen nicht wieder, und Jade war selbst überrascht, wie beunruhigt sie darüber war.
    Erst als der letzte Schuss verklungen war, stahl sie sich hinaus und huschte die Treppe hinauf.
    Jemand hatte die Leiter zum dritten Stock beiseitegelegt. Jade musste nach ihr suchen, doch schließlich fand sie sie in einem Zimmer, halb versteckt hinter der Tür. Durch das Loch im Boden kletterte sie in den dritten Stock und näherte sich vorsichtig der Treppe. Über sich hörte sie ein Klappern wie von einer zuschlagenden Tür. Offenbar standen in Tams Räumen die Türen offen. Oder ein Fenster war bei einer der Explosionen zerbrochen und sorgte nun für den Durchzug. Doch etwas Verdächtiges war nicht zu hören. Also stieg sie hinauf – eine Stufe und dann noch eine und noch eine.
    Bei der fünften Stufe, kurz bevor sie um die Biegung zum oberen Treppenabsatz spähen konnte, ertönte leise, aber nachdrücklich ein warnendes Hundeknurren. Jade erstarrte auf der Stelle. Tams zweiter Hund. Also hatte er heute Morgen nur einen mitgenommen. Enttäuscht biss sie sich auf die Unterlippe. Nun, sie hätte sich denken können, dass Tam seine Käfige nicht unbewacht zurückließ. So lautlos wie möglich zog sie sich wieder zurück. Unten angekommen lauschte sie einige Zeit lang, in der bangen Erwartung, dass der Wachhund ihr vielleicht folgen würde, doch nichts geschah.
    Jetzt blieb ihr nur noch der andere Weg. Leise nahm sie ihren Schlüssel aus der Jackentasche und schloss das Zimmer neben dem blauen Raum auf.
    Ein blutiges Abendrot lag wie ein Schleier über der toten Stadt. Jade versuchte, nicht hinzusehen, während sie aus dem Fenster kletterte, doch natürlich gelang es ihr nicht. Der Anblick der verkohlten Gemäuer schnürte ihr die Kehle zu und trieb ihr die Tränen in die Augen. Die Stadt – ihre Stadt! – wirkte wie ein gefallener Krieger. Brücken waren eingestürzt und an manchen Stellen gähnten schwarze Krater anstelle der Gebäude – für immer zerstört und verloren.
    Etwas Trockenes blieb an ihrer Lippe kleben, und als sie das Kinn an ihrer Schulter rieb, sah sie, dass es Ascheflocken waren. Sie schluckte und betrachtete ihr unglückliches Spiegelbild.
    Heute machte die Höhe sie schwindelig, als hätte ihr jemand alle Sicherheit und ihren Halt geraubt. Zum ersten Mal, seit sie im Larimar lebte, befürchtete sie, das Gleichgewicht zu verlieren. Sie hatte vorgehabt, vom Sims aus direkt zu einem der Fenster im vierten Stock zu gelangen. Doch nun hangelte sie sich nur mit zitternden Knien und fahrigen Händen zu dem runden Fenster und ließ sich in den Schutz von Stein und türenlosen Wänden fallen. Es fühlte sich tröstlich an, wie Heimkommen nach einer entbehrungsreichen, traurigen Zeit. Nur ein paar Minuten würde sie sich ausruhen, bis das Zittern aufhörte.
    Sie brauchte mehrere Atemzüge, um zu begreifen, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Alles war noch an seinem Platz, sogar die Decke lag noch so zerwühlt da, wie sie sie vor Tagen, die ihr wie Jahre schienen, verlassen hatte. Erst als der Geruch von Öl ihr in die Nase stieg, erkannte sie es: Die Lampe war umgefallen, ein dunkler Fleck hatte sich auf dem Boden ausgebreitet. Und direkt daneben lag das Tagebuch – aufgefächert und mit den Seiten nach unten wie ein erschossener Vogel. Papierfetzen lagen daneben, als hätte jemand an den Seiten herumgerissen. Jade stieß einen Schrei aus und stürzte sich auf ihre Kostbarkeit. Vorsichtig hob sie es auf. Und als das Bild ihrer Mutter unversehrt herausfiel, brach sie in Tränen aus. Mit der Erleichterung kam der Schreck. Jemand war hier gewesen! Und Jakub ganz sicher nicht – nur sie hatte den Schlüssel zum angrenzenden Zimmer. Die letzte Sicherheit, die sie noch verspürt hatte, fiel von ihr ab, so als würde sich ihre Welt endgültig auflösen. Es fühlte sich an, als hätte ihr jemand im Schlaf ein Messer an die Kehle gesetzt.
    Faun! , schoss es ihr durch den Kopf. Aber wie hätte er in den Raum kommen

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