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Faunblut

Faunblut

Titel: Faunblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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ihren Traum von der Ferne.
    Öfter als nötig hielt Jade sich in der Nähe des Hafens auf und hielt nach Arifs Fähre Ausschau. Meistens sah sie das Schiff nur aus der Ferne, aber einmal hatte sie Glück und kam in dem Moment, als es gerade abgelegt hatte und flussaufwärts fuhr. Selten war Jade so nervös gewesen wie in dem Augenblick, als sie Martyn entdeckte. Er stand am Heck und sortierte Seile. Auf ihren Pfiff hin zuckte er zusammen und sah zu ihr herüber. Seine Miene hatte nichts von einem Sonnenlächeln, eher von einem Gewitter mit tödlichen Blitzen. Jade winkte ihm zu und bedeutete ihm mit den Zeichen, die sie seit der Kindheit verwendeten, dass sie mit ihm reden musste. Aber Martyn kniff nur die Lippen zusammen, wandte sich ab und verschwand in Richtung Bug aus ihrem Blickfeld. Jade blieb mit zu Fäusten geballten Händen und einem Kloß in der Kehle zurück. Und obgleich seine Reaktion sie mehr verletzte als jeder Streit, den sie miteinander ausgemachten hatten, musste sie zugeben, dass sie an seiner Stelle ganz genauso reagiert hätte.
    Den Echos begegnete Jade nicht, obwohl sie jeden Kanal und jedes unbewachte Gebäude absuchte, aber einige Tage nach der Versammlung fand sie zumindest Ben wieder. Er hockte in der Nähe des Palasts, direkt neben dem Seitentor der gläsernen Kirche. Durch das graue Rauchglas strahlte das Licht des heiligen Styx, das im Inneren auf dem Altar brannte. Von außen gesehen, schien es direkt über Bens Kopf zu schweben wie ein Heiligenschein.
    »Kenne ich dich?«, fragte er, sobald er Jade entdeckte.
    Jade sah sich um und ging vor dem Alten in die Hocke.
    »Wo warst du?«, wisperte sie ihm zu.
    »Bei den Galgen zu Besuch«, lachte Ben. »Ich muss üben für den Totentanz. Lang dauert es nicht mehr, hundert Jahre sind mehr als genug.«
    Jade holte ein Stück Brot aus ihrer Tasche, das er sich schnappte und gierig in den Mund stopfte. Irgendwo in der Nähe ertönte ein schriller Vogelschrei, wie von einem Ara oder einem Kakadu.
    »Richte Tanía aus, dass sie morgen von den Straßen verschwinden sollen«, flüsterte Jade Ben zu. »Es wird wieder eine Treibjagd geben, diesmal im östlichen Teil der Stadt und in der Nähe des Hafens. Und soweit ich rauskriegen konnte, sind weitere Verhaftungen geplant.«
    »Ich weiß zwar nicht, wovon du redest«, nuschelte Ben mit vollem Mund. »Aber ich merke es mir. Vielleicht wird ja dem Mann da drüben deine Information nützen.« Er deutete auf einen Lastenträger, der mit einem Bündel auf dem Kopf in Richtung des Zehnthauses eilte.
    Jade nickte und fügte das Gesicht des Mannes in ihre Galerie der Verbündeten ein.
    »Hoch mit mir!«, rief Ben munter und streckte ihr die Hand hin. Jade ergriff sie und half dem Greis vorsichtig auf die Beine. Schon hatte er sich bei ihr eingehakt und zog sie zu einem Seitentor der Kirche. »Komm, wir besuchen den Heiligen!«
    »Du weißt genau, dass das nicht geht«, flüsterte Jade. »Selbst wenn das Tor nicht verschlossen wäre, dürfen nur Leute aus den Palästen in die Kirche.«
    »Keine Lords da«, sagte Ben lakonisch und trat gegen die Tür. Sie schwang auf! Und jetzt sah Jade auch, dass das Schloss zerbrochen war. »Wer war das? Tanías Leute?«
    Im selben Moment ertönten aufgeregte Rufe in der Nähe, dann erhoben sich vier riesige Papageien über die Dächer eines Adelspalasts und flohen in Richtung Fluss. Ein schriller Schrei zerschnitt die Luft – und dann hörte Jade Schläge wie von mächtigen Tritten gegen eine Tür. Ehe sie sich von ihrer Überraschung erholen konnte, hatte Ben sie schon durch die Tür in die Kirche gezogen. Draußen war es drückend warm gewesen, hier aber war es so kühl, dass Jade auf der Stelle eine Gänsehaut bekam. Die Straße und der Platz vor der Kirche schimmerten bleigrau und schemenhaft durch das Rauchglas.
    »Was geht hier vor, Ben?« In der Kirche hallte sogar der Atem.
    »Passwort?«, murmelte Ben und spähte besorgt zum Tor eines Adelshauses.
    Im ersten Augenblick wollte Jade ihn zurechtweisen, sich die Verrücktheiten zu sparen, aber die Art, wie Ben die Augen zusammenkniff und die Straße betrachtete, wirkte plötzlich merkwürdig klar und vernünftig.
    » Elf der Lords «, erwiderte sie leise. »Warum?«
    »Irrtum!«, sagte Ben und tippte mit dem Fingernagel an die Glaswand. » Zehn der Lords! «
    Im selben Augenblick brach das Tor zum Innenhof des Stadtpalasts auf. Das Kreischen der Scharniere und das Splittern von Holz konnte Jade nur gedämpft hören, aber

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