Faunblut
nachzudenken.
»Verpflichtet. Ja, vielleicht«, sagte er nach einer Weile.
»Ich erinnere mich kaum an diese Zeit. Nur an einige wenige Dinge … an ein Ritual … aus der Zeit beim Jägerstamm.«
Jade setzte sich auf. »Was für ein Ritual?«, fragte sie atemlos.
»Wenn ein Mann aus dem Nordwald eine Frau liebt«, sagte Faun ernst, »dann jagt er für sie und schenkt ihr das Herz einer Raubkatze. Aber wenn die Frau ihn nicht küssen will, tut es auch eine glitschige, rohe Fischhaut.«
Seine Augen blitzten, und beim Blick in ihr verblüfftes Gesicht musste er sich auf die Lippen beißen, um nicht in schallendes Gelächter auszubrechen.
»Du ziehst mich auf?«, zischte sie. Sie versetzte ihm einen Schlag, den er im letzten Moment parierte, und wollte aus dem Bett springen. Doch Faun packte sie am Handgelenk und hielt sie zurück.
»Sei mir nicht böse«, bat er. »Das Ritual gibt es wirklich – so ungefähr jedenfalls.«
»Lass mich los oder du hast gleich ein paar Narben mehr. Und diesmal im Gesicht!« Es hatte zornig klingen sollen, doch dafür war es zu spät. Längst hatte Faun sie mit seinem Lachen angesteckt. Das war das Verwirrendste an diesen Nächten: diese Momente der Unbeschwertheit, in denen Jade alles vergaß und lachte und einfach nur glücklich war.
Nur widerwillig ließ er sie los und hob die Hände.
»Friede!«, meinte er versöhnlich. »Ab jetzt sage ich nur noch die Wahrheiten, die du hören möchtest. Frag mich was anderes!«
Jade schluckte. Lass es , dachte sie. Er wird dir nichts sagen. Und er hat recht damit, einer Spionin nicht zu vertrauen. Selbst wenn die Spionin alles dafür tun wird, um sein Leben zu schützen.
»Du hast mir erzählt, dass Tam jemanden sucht, der sich in der Stadt versteckt«, begann sie vorsichtig. »Und auf dem Markt gibt es … diese Gerüchte. Über einen Prinzen. Sucht ihr ihn immer noch?«
Fauns Atmen war kaum hörbar. Er schloss die Augen und schwieg. So ruhig hatte sie ihn noch nie erlebt.
»Für das, was ich dir jetzt sage, könnte Tam mich töten«, sagte er nach einer viel zu langen Weile. »Die Gerüchte sind wahr. Den Prinzen gibt es tatsächlich. Die Lady nimmt an, dass er während des Winterkriegs aus der Stadt gebracht wurde und nun zurückgekehrt ist. Aber er verbirgt sich gut. Es gab Hinweise, dass er sich in der toten Stadt aufhielt, weil von dort auch einige der Echos kamen. Aber er ist den Jägern entwischt.«
Als sie nicht antwortete, stützte er den Kopf auf seiner Hand auf und sah sie ernst an.
»Die Lady wird in den nächsten Tagen weiter nach ihm suchen.«
»Ich weiß«, erwiderte Jade.
»Komm ihr nicht in die Quere«, bat er leise. »Ich … könnte den Gedanken nicht ertragen, dass dir etwas zustößt.«
Jade wich seinem Blick aus und nickte nur stumm.
Totentanz
Hatte Jade bisher nur die Oberflächen und Fassaden der Stadt wahrgenommen, tauchte sie nun in den Untergrund ein und lernte das Adernetz von Gängen kennen, das sich darunter verbarg, ein verwobenes System an Kammern, Schlupfwinkeln und Fluchtwegen. Sie führten durch Keller mit durchbrochenen Wänden und an Kanälen entlang, durch Wohnungen und hohle Mauern. Nach und nach lernte sie, die Zeichen zu lesen – hier eine Tonscherbe auf einer Fensterbank, die nach Norden deutete, dort ein rotes Band an einem abgebrochenen Stück Holz, das aus einer Wand ragte. Es war gefährlich und erregend wie ein Rausch, mit Tanía im Palastviertel vor einer Patrouille wegzutauchen oder am Rand einer Gasse einen Diener aus einem Adelspalast zu erblicken, der ihr zunickte und wie beiläufig eine Spiegelscherbe in der Hand aufblitzen ließ. Sie kannte nur wenige Namen, und dennoch spürte sie, wie sie ein fester Teil des Netzes wurde, das sich über die ganze Stadt spannte. Nur von den Echos und dem Prinzen fehlte immer noch jede Spur.
»Zwei Echos wurden vor dem Goldenen Tor gesehen!«, berichtete Tanía bei einer Versammlung im Schlachthof. »Und Ben sagt, vier weitere verstecken sich in der Nähe der Schädelstätte. Sie sind da! Sie warten nur darauf, zuschlagen zu können! Schätze, wir müssen uns etwas einfallen lassen, um die Jäger für eine Weile abzulenken.«
Sie lachte bei diesen Worten und ihre Augen funkelten in einer wilden Entschlossenheit. In solchen Augenblicken wusste Jade nicht, ob sie Tanía für ihren Mut bewundern oder ihre Verrücktheit fürchten sollte. Für sie war dieser Krieg tatsächlich ein Strategiespiel, für das sie so sehr brannte wie Jade für
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