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Faunblut

Faunblut

Titel: Faunblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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durch das Glas sah sie, wie zwei schwarze Stiere mit vergoldeten Hörnern direkt an der Kirche vorbeistürmten. Selbst der Kirchenboden schien unter den Tritten der harten Hufe zu beben. Instinktiv riss Jade auch Ben zu Boden und lehnte sich von innen gegen die Tür. »Lord Norem!«, flüsterte Ben und rieb sich ächzend das Knie, das er sich angeschlagen hatte. »Hat die gefährlichsten Tiere und ist so stolz darauf. Stiere aus den östlichen Steppen, Tiger aus den Eiswüsten von Limara, Bären aus den Nordwäldern …«
    »Das ist Tanías Werk, nicht wahr? Wusstest du, dass sie eine Menagerie aufbrechen würden?«
    Sie schauderte beim Gedanken daran, dass sie nur zehn Minuten später den Stieren direkt entgegengelaufen wäre. Und noch ein Gedanke fuhr ihr durch den Kopf: Martyn und die Feynals. Hoffentlich waren sie auf dem Wasser!
    »Muss was schiefgelaufen sein«, bemerkte Ben nur trocken. »Sie wollten die Tiere in die andere Richtung treiben.«
    Jade fluchte und versuchte, durch das Glas zu erkennen, was draußen vorging. Inzwischen war der Lärm so laut geworden, dass er deutlich in die Kirche drang. Hundegebell und Knurren erklangen, dann Schüsse. Ein Tumult war im Gange. Jäger stürzten die Straße entlang. Hoffentlich entdecken sie uns nicht in der Kirche , betete Jade und zog Ben am Arm, damit er sich duckte. Auf der Suche nach einem möglichen Versteck warf sie einen hastigen Blick über die Schulter. Der dumpfe Widerhall der Schüsse wurde von den glatten Wänden verstärkt und füllte den hohen Raum. Jade erhaschte einen Blick auf das Mosaik des heiligen Styx hinter dem Altar. Zum ersten Mal sah sie es ohne den Filter von Glas und Weihrauch. Der Heilige, eine dünne Kadavergestalt mit einem Ibisschädel in der einen und der Eisenlilie in der anderen Hand, starrte sie aus strengen silberfarbenen Mosaikaugen drohend an. Jade senkte unwillkürlich den Blick.
    Eine weitere Patrouille war eingetroffen und der Platz begann zu kochen. Jade kauerte sich instinktiv zusammen, als sie Tigergebrüll hörte. Sie sah gerade noch, wie ein auffälliger Schachbrettmantel am Rand der Szenerie auftauchte und im Gewühl verschwand.
    »Moira!«, flüsterte sie und dachte im selben Moment: Faun!
    Ben starrte sie verblüfft an, als sie aufsprang.
    »Bleib hier«, befahl sie ihm.
    Es war vollkommener Wahnsinn, aber die Vorstellung, Faun könnte von einem Stier niedergetrampelt werden, ließ sie ihre Furcht vergessen.
    »Was machst du?«, fragte Ben mit großen Augen.
    »Dafür sorgen, dass jemand seinen Fluchtweg findet, bevor er durch Tanías Dummheit umkommt!«, gab Jade zurück.
    Sie wartete, bis sie sicher sein konnte, dass kein Raubtier in unmittelbarer Nähe der Tür war, dann schlüpfte sie hinaus und rannte los. Die Hitze traf sie wie eine warme Wand und trieb ihr sofort den Schweiß auf die Stirn. Von allen Seiten stürzte Lärm auf sie ein. Stampfen von Hufen, weitere Schüsse, gebrüllte Befehle. Offenbar trieben die Jäger auch in den Nebenstraßen die Tiere zusammen. Faun war nirgendwo zu sehen, nicht einmal einen Blauhäher entdeckte sie. Dafür aber Moira, die ihren Hund von der Leine ließ und ein Kommando rief. Die Jägerin war heute allein! Jade atmete erleichtert auf und flüchtete sich hinter das Geländer einer Marmortreppe. Sie erschrak fast zu Tode, als sich eine Hand um ihren Fußknöchel schloss, und schrie auf.
    »So schreckhaft, Prinzessin?«, höhnte eine wohlbekannte Stimme.
    Tanía schlüpfte flink unter der Treppe hervor und grinste. Jade wollte etwas sagen, als ein Laut ertönte, der ihr die Haare vor Entsetzen zu Berge stehen ließ: Bärengebrüll. Viel zu nah.
    »Zeit zu gehen«, sagte Tanía.
    *
    Sie wichen jeder Begegnung mit Jägern und den flüchtenden Tieren aus. Jade war völlig außer Atem, als Tanía schließlich durch einen Hinterhof rannte und vor einem Eingang stehen blieb. Auf ihr Klopfzeichen hin öffnete sich die Tür und Tanía tauchte ins Dunkel. Jade japste noch einmal nach Luft und folgte ihr.
    »Rauf in den ersten Stock und nach links!«, flüsterte ihr eine Männerstimme zu. »Durch die zweite Tür kommt ihr ins Nebenhaus.«
    Mit wackligen Knien gehorchte Jade und hetzte die Treppen hinauf. Der Raum war eine winzige Kammer mit zwei Türen, in der nicht viel mehr als ein Tisch und eine Bank stand. Eine Weinkaraffe und mehrere halb gefüllte Gläser deuteten darauf hin, dass auch andere Verbündete ihn als Unterschlupf nutzten. Tanía stürzte nicht zur zweiten Tür,

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