Faunblut
gepackt, um wenigstens eine Schlagwaffe zu haben. Ihr Gesicht war ganz und gar beherrschte Konzentration, aber sie war totenblass. Jade kam auf der schräg abfallenden Bruchkante der Steinfigur auf und wand das Tuch blitzschnell zu einer Art Seil, das sie an einem Steinvorsprung festzurrte. In diesem Augenblick griff der Stier an. Jade schrie auf und kniff reflexartig die Augen zu. Der scharfe Gestank nach schweißgetränktem Fell drang ihr in die Nase. Sie hörte Stöhnen und ein dumpfes Geräusch, wie von einem aufschlagenden Körper. Bitte nicht , betete sie. Sie zwang sich dazu, die Augen wieder zu öffnen. Auf den ersten Blick sah sie nur ein Durcheinander von Hufen und Gliedmaßen, dann begriff sie, dass sie Zeugin eines bizarren Tanzes wurde. Moira entwand sich dem Stier, sie kroch und sprang, sie trat nach dem schaumverschmierten Maul und kam wieder auf die Beine. Der Gewehrkolben krachte gegen die Stirn des Stiers, dann rollte sich die Jägerin blitzschnell herum, im verzweifelten Versuch, den Hörnern auszuweichen. Ihr Hund schoss auf die Hinterbeine des Stiers zu und verbiss sich in einer Sehne. Der Koloss wirbelte herum. Blut spritzte von einem Horn und malte ein bizarres Muster auf die Hauswand, das an das Gekrakel eines Verrückten erinnerte.
»Moira! Hier!«, schrie Jade. Die Jägerin blickte zu ihr hoch. Und wieder staunte Jade darüber, wie schnell sie die Situation erfasste. Ohne zu zögern, warf sie das Gewehr auf den Boden, hechtete zu dem improvisierten Seil, das auf ihrer Augenhöhe endete, sprang hoch und packte es. Jade hielt mit ihrem ganzen Gewicht dagegen. Das Tuch rutschte, dann verkeilte es sich endgültig zwischen den steinernen Bruchkanten. Der Stier schnaubte, Hufe stampften über den Boden. Ein Jaulen ertönte, dann nahm der Stier den Hund schon auf die Hörner und schleuderte ihn gegen die Wand. Das Tier fiel mit einem Ächzen und blieb mit gebrochenem Rücken reglos Hegen.
Schweißperlen rannen über Moiras Stirn, als sie sich mühsam nach oben zog. Ihr linker Ärmel hing in Fetzen herunter, und Jade sah mit einem Schaudern, dass auf ihrem Oberarm eine Wunde klaffte. Sie stützte sich so gut es ging mit dem linken Fuß ab und streckte Moira die Hand hin. Der Stier senkte den Kopf und donnerte heran.
»Die Beine!«, brüllte Jade im selben Moment, in dem Moiras Finger sich wie Eisenklammern um ihre Handgelenke schlossen. Um ein Haar hätte Jade das Gleichgewicht verloren, aber dann fing sie sich, biss die Zähne zusammen und lehnte sich mit aller Kraft gegen das Gewicht. Sie hätte schwören können, dass die Hauswand erzitterte, als der Stier sich gegen die Stelle warf, an der sich gerade eben noch Moiras Beine befunden hatten. In der nächsten Sekunde kauerte die Jägerin schon auf dem schrägen Steinvorsprung neben Jade. Einen Herzschlag lang sahen sie sich in die Augen, und Jade überschwemmte eine so jähe Welle von Erleichterung und Freude, dass sie die Jägerin anlächelte. Und Moira erwiderte das Lächeln für einen flüchtigen Augenblick. Dann starrten sie beide schweigend und völlig erschöpft in die Gasse. Jeder Muskel in Jades Körper schien zu pulsieren, und ihr Mund war so trocken, dass ihre Zunge wie ein Stück Leder an ihrem Gaumen klebte. Jetzt erst fiel ihr ein, dass Moira sie fragen würde, was sie in diesem Haus verloren hatte. Die Jäger würden das Haus durchsuchen und die Spuren der Rebellen finden. Sie würden auch Jade auf die Gefängnisinsel bringen und verhören und …
»Verdammt«, murmelte Moira. »Das war mein bester Hund.«
Blut färbte den Boden, der Galgo starrte mit bereits trüben Augen in den Himmel.
Muskeln zuckten unter dem schweißglänzenden Fell des Stiers. Er scharrte mit dem Vorderhuf und starrte zu ihnen hinauf. Menschentöter , dachte Jade beklommen. Die Vorstellung, dass an diesen Hörnern Blut von Gefangenen klebte, die vom Kerker direkt in die Hölle gestoßen worden waren, ließ wieder eine Welle von Übelkeit in ihr aufsteigen.
Ein scharfer Knall ließ sie zusammenzucken, dann sah sie, wie der Stier in die Knie ging. Er schwankte noch, doch dann, als ein zweiter Schuss ihn traf, brach er ächzend zusammen. Das Hinterbein kickte noch dreimal in die Luft, dann lag er still. Moira atmete auf.
An der Straße standen zwei Jägerinnen und senkten gleichzeitig die Gewehre. »Alles klar, Moira?«
»Ja!«, rief sie. Nur Jade hörte, dass ihre Stimme ein wenig zitterte. Die Jägerin fluchte über ihren schmerzenden Arm, doch sie
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