Faunblut
»Auch du hast dich verändert, glaube mir.« Und als er ihrem Blick auswich und wieder die Fenster anstarrte – Meilen entfernt von ihr –, wurde ihr schmerzlich bewusst, dass es von nun an nur noch ihre und seine Welt geben würde. Und keinen gemeinsamen Ort mehr.
»Bleib bei deinen Märchen«, sagte sie bitter und stand aus dem Bett auf. »Werde ein treuer, feiger Untertan und rede deiner ladytreuen Geliebten nach dem Mund. Tanz mit ihr und küss sie und bilde dir ein, dass die Lady deine Dienste schätzt. Behalt deine Geheimnisse für dich – ich werde meine auch ohne dich ergründen.«
Jakub schluckte schwer und blinzelte, zu stolz, um weitere Tränen zu weinen, zu wütend, um Jade anzuschreien. Und Jade liebte ihn so sehr wie noch nie zuvor. »Was zum Teufel starrst du da im Fensterglas an?«, rief sie verzweifelt.
»Dich und mich«, sagte er mit zornbebender Stimme. »Du bist erwachsen geworden, vielleicht habe ich das tatsächlich nicht bemerkt. Und ja, ich hätte dir erzählen müssen, wie es um mich und Lilinn steht, aber jetzt ist es ohnehin zu spät. Ich kann dir nicht befehlen, was du glauben sollst. Aber überlege gut, was du tust. Wenn es das ist, was ich befürchte, Jade, dann werden wir auf verschiedenen Seiten stehen.«
»Tun wir das nicht längst?«, erwiderte Jade.
Die Seele der Flammen
Im Augenblick war es leicht, auf Jakub nur zornig zu sein. Noch spürte sie den Verlust nicht in seinem ganzen Ausmaß. Dafür schmerzten ihre Hand und ihr verletzter Arm inzwischen so sehr, dass sie bei jeder Bewegung fluchte. Sie hatte die Fensterläden aufgestoßen und in dem nächtlichen Fluss nach diesem anderen Gesicht gesucht. Aber das Mädchen blieb verschwunden und hatte Jade mit nichts als ihrer Spiegelung zurückgelassen. Am liebsten wäre sie sofort zu Faun gegangen, aber sie wagte sich weniger denn je in das Erdgeschoss zum Bankettsaal. War er überhaupt im Haus? Eines sprach dafür: Jay verhielt sich ruhig, aber Jade bekam eine Gänsehaut, wenn sie daran dachte, dass er lauernd in seinem Käfig saß und in der Luft witternd ihre Spur suchte.
Sie zog ihren Rucksack unter dem Bett hervor und begann zu packen. Sie würde das Haus heimlich verlassen. Wenn Jakub bemerkte, was sie vorhatte, würde er alles tun, um sie zurückzuhalten. Doch sie hatte ihre Entscheidung getroffen, und es erschreckte sie beinahe, wie unausweichlich und logisch ihr dieser Schritt erschien. So als hätte sie in ihrem Inneren schon längst gewusst, dass dieser Tag kommen würde.
Die Schnitte brannten, und es war mühsam, ihre Habseligkeiten mit der verletzten Hand in den Rucksack zu stopfen. Sie brauchte nicht viel Platz für ihre Sachen: einige ihrer Schätze, Kleidung, ein zweites Paar Schuhe und ein Messer. Und natürlich das Foto, das Jakub aus dem Badezimmer geholt hatte. Es war noch feucht und wellte sich an den Rändern. Jade setzte sich auf das Ebenholzbett und schlug das zerfledderte Tagebuch auf. Im hinteren Drittel fanden sich unbeschriebene Blätter, zwischen die sie die Fotografie legte. Einem Impuls folgend, blätterte sie die erste Seite auf und las die Zeilen in geschwungener Handschrift:
Du sagst, es gibt nichts Schlimmeres als den Tod, Laurin, aber das ist nicht wahr. Die Liebe ist das schlimmste Gift von allen.
Rasch klappte sie das Buch zu und schob es ganz unten in den Rucksack. Sie wartete eine ganze Weile auf Faun, bei Kerzenlicht, da sie die Dunkelheit nicht ertrug. Angestrengt lauschte sie jedem Geräusch, hin- und hergerissen zwischen Schreck und Hoffnung. Schließlich hielt sie es nicht länger aus und riss die Tür auf, um zur Treppe zu gehen.
Eine schattige Bewegung an der Wand ließ sie zusammenfahren. Jay? Doch dann glänzte im Kerzenlicht, das in den Flur fiel, helles Haar auf. Erleichterung ließ sie ganz schwach werden. »Faun! Wo warst du so lange?«, flüsterte sie.
Er saß mit dem Rücken an die Wand gelehnt, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, die Hände im Haar vergraben. Jetzt hob er ruckartig den Kopf. Seine Augen waren rot, als hätte er geweint. Jade stürzte zu ihm und kroch ganz in seine Umarmung. Er küsste ihre Stirn, ihr Haar, und sie kümmerte sich nicht darum, dass die Wunde am Arm höllisch brannte, als er sie an sich drückte. Zum ersten Mal fühlte sie sich wieder sicher und geborgen.
»Jay hat versucht, mich zu töten«, sagte sie, nachdem sie mit Faun ins Zimmer getreten war und die Tür geschlossen hatte. Er stürzte zu ihr und umarmte sie. Sein
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