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Faunblut

Faunblut

Titel: Faunblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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müssen, aber stattdessen waren da nur diese Leere und ein Zorn, der sogar die Begegnung mit Jay in den Hintergrund schob.
    »Warum weinst du?«, fuhr sie Jakub an.
    »Warum wohl? Weil sie dich beinahe getötet hätte!«
    Jade dachte an das gläserne Gesicht und schüttelte den Kopf. »Sie wollte mich nicht töten, ganz sicher nicht.«
    Jakub packte sie an den Schultern. Seine Augen waren lodernde Sonnen. »Fürchte sie, Jade«, sagte er beschwörend. »Fürchte sie mehr als den Tod! Sie sind Ungeheuer, sie haben deine Mutter ermordet.«
    Da war es wieder: das Zittern. Ihre Zähne begannen wieder zu klappern. Und der Kloß in ihrem Hals fühlte sich an wie ein Eisklumpen. »Meine Mutter?«
    Jakub nickte.
    »Das glaube ich nicht!«, schrie sie. »Ich glaube dir kein Wort!«
    »Sie sind wie Raubtiere, Jade!«
    »Du hast mir immer erzählt, sie starb im Winterkrieg!«
    »Sie starb kurz davor«, antwortete Jakub mit gebrochener Stimme. »Einige Monate, bevor die Lady die Stadt stürmte.«
    Jade schloss die Augen. Jetzt ergab es einen Sinn. Die Erinnerung an den Duft von Herbstlaub. Der Sturm auf den Palast und der Tod ihrer Mutter – zwei Ereignisse, Monate dazwischen. Jade suchte nach weiteren Bildern, doch hinter ihren geschlossenen Lidern fand sie nur Leere. Und dennoch – sie konnte sich nicht vorstellen, dass ihre Mutter ein Opfer der Echos geworden war. Es fühlte sich verkehrt an. Zum ersten Mal in ihrem Leben betrachtete sie ihren Vater mit den Augen einer Fremden. Er hat mich schon einmal belogen. Und er würde alles tun, damit ich mich von den Echos fernhalte.
    »Warum glaube ich dir nur nicht?«, sagte sie und rückte von ihm ab, bis sie ganz am Rand des Bettes saß. »Lilinn sagte einmal, sie würde sich nur in Lügner verlieben. Und langsam denke ich, du bist der größte Lügner von allen.«
    Schmerz huschte über Jakubs Gesicht. Es war, als könnte sie sein verwundetes Herz sehen, aber heute ließ sie es nicht zu, dass das Mitleid sie blendete.
    »Was hätte es geändert, wenn ich dir von den Echos erzählt hätte?«, erwiderte er mit harter Stimme. »Die Wahrheit, die wir heute kennen, ist nur ein schöner Mantel über einer hässlichen Geschichte. Unsere ganze Geschichte ist ein Märchen, Jade. Die Lady musste die Stadt nicht erobern. Sie hatte leichtes Spiel. Denn in der Stadt gab es bereits Kämpfe. Die Könige bekriegten sich gegenseitig, die Echos und die Menschen waren Feinde. Wir müssen der Lady dankbar sein, wenn das letzte Echo am Grund des Flusses liegt.«
    »Ein echter Getreuer der Lady«, erwiderte Jade bitter. »Ich erkenne dich nicht wieder. Wo ist der Jakub, der sich lieber mit den Jägern anlegte, als dem Befehl der Lady zu gehorchen?«
    »Die Lady und die Jäger sind zwei verschiedene Dinge.«
    »Du weißt, dass das nicht stimmt!«
    »Immerhin lebe ich noch«, brauste er auf. »Und auch du hast immer davon profitiert, dass ich meine Kontakte zum Hof gehalten habe. Wir hätten untergehen können, Jade, wie so viele andere. Aber ich habe es nicht zugelassen. Und wir leben vielleicht nicht gut in dieser Stadt, aber auch nicht schlechter als andere. Du hattest ein Dach über dem Kopf. Wir haben das Hotel bekommen und du konntest ein Leben führen ohne Krieg.«
    »Ein Leben in Angst. Die Lady ist eine Tyrannin!«
    »Und wenn schon!«, donnerte Jakub mit wutblitzenden Augen. »Denkst du, die Könige von den Inseln waren gnädiger als sie? Willst du nicht wissen, ob sie auch Mörder waren? Ja, sie waren es. Es ändern sich die Gesichter, nicht die Verhältnisse. Die Könige, die die Lady besiegt hat, waren nur andere Herren, nicht besser, nicht schlechter.« Er räusperte sich und fuhr etwas ruhiger fort: »Manchmal ist die einzige Freiheit, die man hat, die Wahl zwischen zwei Tyrannen. Und ich habe meine Wahl getroffen.«
    Für einen Augenblick wollte Jade ihm glauben. Sie dachte an das Echo hinter dem Fenster und wollte glauben, dass die Echos ihre Feinde waren und der vertraute Käfig besser als eine unbekannte Freiheit. Wie einfach wäre es, das Knie vor der Lady zu beugen und sich im Larimar zu verkriechen! Doch dann sah sie ihr verzweifeltes Wassermädchen vor sich und wusste mit einem Mal, dass sie sich endgültig für ihre Seite des Flusses entschieden hatte.
    »Wo ist nur mein hitzköpfiger, rebellischer Vater geblieben?«, sagte sie. »Der Jakub, den ich kannte, hätte nie freiwillig sein Knie gebeugt – weder vor der Lady noch vor Lilinn.«
    »Dinge ändern sich«, murmelte Jakub.

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