FBI: Die wahre Geschichte einer legendären Organisation (German Edition)
nieder.
Von den 259 Personen an Bord waren 181 Amerikaner. Elf Menschen starben am Boden. Die schottische Polizei begann Beweismittel zu sammeln, die auf einer Fläche von 2200 Quadratkilometern verstreut lagen. Unterstützt vom britischen Nachrichtendienst, stellten sie bald fest, dass ein mit dem hochexplosiven Sprengstoff Semtex gefüllter Koffer in das Flugzeug geschmuggelt worden war.
Nach internationalem Recht war das FBI zuständig, denn das Flugzeug stammte aus den USA. Aber die Führungsriege des Bureau hatte keine Ahnung, wie sie vorgehen sollte.
»Das FBI war für so umfangreiche Ermittlungen nicht gerüstet«, erklärte Richard Marquise. »Ich mache die behördlichen Strukturen dafür verantwortlich.« [578]
Marquise übernahm am 3. Januar 1989 die Leitung der FBI- Task-Force zu Lockerbie, die aus vier Agenten und drei Auswertern bestand. Auf der Suche nach Hinweisen prüfte er wochenlang die Passagierliste. Um diese Liste rankten sich allerhand Verschwörungstheorien. Unter den Passagieren waren der CIA-Offizier Matt Gannon und Chuck McKee, ein Major aus dem Nachrichtendienst des Heeres, die sich in Beirut neunzig Stunden die Woche um die Freilassung der neun amerikanischen Geiseln bemüht hatten, die nach wie vor im Libanon festgehalten wurden. Gannons Schwiegervater war stellvertretender Leiter einer geheimen Abteilung innerhalb der CIA, des Clandestine Service, und hatte viele Jahre lang im Nahen Osten gearbeitet. In Lockerbie starben sechs Beamte des State Department und der führende Nazijäger des Justizministeriums. Ein weiterer Reisender, ein amerikanischer Geschäftsmann, trug denselben Namen wie ein Terrorist, der mehrere Jahre zuvor ein kuwaitisches Linienflugzeug entführt hatte.
Die Liste der Verdächtigen spiegelte praktisch alle erbitterten Auseinandersetzungen zwischen Amerikanern und Arabern im Nahen Osten. George Bush senior, soeben zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt, meinte, die Syrer steckten dahinter. Buck Revell vom FBI vermutete, die Iraner hätten es getan: Schließlich hatte die USS Vincennes ein halbes Jahr zuvor Flug 655 der Iran Air über dem Persischen Golf abgeschossen, ein fehlgeleiteter Angriff durch die Schuld eines amerikanischen Admirals, der im Juli 1988290 Passagieren das Leben kostete. Die CIA verdächtigte Ahmed Dschibril, einen führenden palästinensischen Terroristen, und stellte die Theorie auf, er hätte das Flugzeug im Auftrag der Iraner in die Luft gejagt. Außerdem konnte man immer auf den libyschen Oberst Gaddafi zurückgreifen. Er hatte geschworen, die Bombardierung von Tripolis durch die Amerikaner im Jahr 1986 zu rächen, die ein Vergeltungsschlag für den Anschlag auf die Berliner Diskothek La Belle war, bei dem zwei US-Soldaten ums Leben gekommen waren.
Der Einzige, der handfestes Beweismaterial besaß, war John Boyd, der Polizeichef von Lockerbie, dessen Beamte zu Fuß die Hügel und Täler durchkämmt hatten. Sechs Wochen nach Beginn der Ermittlungen hatte einer von Boyds Leuten das fingerspitzengroße Bruchstück einer Funkleiterplatte gefunden, und das FBI wusste, dass der Semtex-Sprengstoff in einem schwarzen Ghettoblaster von Toshiba gesteckt hatte. Dies war über viele Monate der einzige weiterführende Hinweis.
»Es ging quälend langsam voran«, sagte Marquise. »In Washington will jeder eine Antwort. Sofort. Wer hat das getan? Wie ist es passiert?«
Im Mai 1989 lud das FBI über hundert amerikanische, britische, schottische und deutsche Ermittler zu einer Konferenz in ein Hotel bei Washington ein. Jedes Land und jeder Nachrichtendienst verfolgte seine eigenen Spuren. Es gab keine Zusammenarbeit und keine wirkliche Kommunikation.
Sechs Monate nach dem Anschlag wurde die Lockerbie-Task-Force des FBI aufgelöst. Nur Marquise und eine kleine Gruppe von Terrorexperten arbeiteten weiter an dem Fall.
Den Sommer und Herbst über versuchten die Schotten, hunderttausende Beweisfragmente zusammenzufügen. Praxisnahes Training erhielten sie dabei von FBI-Veteranen wie Richard Hahn, der sich seit fünfzehn Jahren – seit dem unaufgeklärten FALN-Anschlag auf die Fraunces Tavern in New York – mit den Trümmerhaufen von Terroranschlägen beschäftigte. So lernten sie zum Beispiel, dass der Schaden nach einer Semtex-Explosion anders aussieht als bei durch Feuerhitze verschmorten Teilen.
Die Schotten kamen bald zu dem Schluss, dass sich zusammen mit dem Radiorekorder, der die Bombe enthielt, Kleidungsfetzen mit dem Etikett
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