FBI: Die wahre Geschichte einer legendären Organisation (German Edition)
über sich. Seine Anweisung lautete, aus Informationen Beweise zu machen.
»Wir haben die Kommandokette im Hauptquartier buchstäblich gekappt«, sagte Marquise. »Wir haben die CIA hinzugezogen. Wir haben die Schotten hinzugezogen. Wir haben den MI5 nach Washington geholt. Und wir haben uns an einen Tisch gesetzt und gesagt: ›Wir müssen anders an die Sache rangehen. Wir müssen es richtig anpacken […] Wir müssen anfangen, Informationen auszutauschen.‹«
Marquise hatte bisher nicht die Befugnis gehabt, zum Hörer zu greifen und seine Kollegen in Schottland anzurufen. Sein erstes Telefonat führte er im November 1990. Von da an wurde vieles anders.
Marquise erfuhr, dass ein schottisches Amtsgericht das Rätsel von MEBO gelöst hatte. Mebo war eine Schweizer Elektronikfirma, die seit knapp zwanzig Jahren mit Libyen Geschäfte machte. Dank dieser Information fand er heraus, dass Edwin Bollier, einer der Firmeninhaber, wenige Tage nach dem Lockerbie-Anschlag persönlich einen ausführlichen Brief bei der amerikanischen Botschaft in Wien abgegeben hatte.
Ohne den Hinweis der Schotten hätte das FBI nie danach gesucht. Im Wesentlichen besagte er: Der Anschlag auf den Pan-Am-Flug 103 war eine libysche Operation gewesen. Bollier wusste, wovon er sprach. Mebo hatte für die Libyer ausgeklügelte Zeitschaltuhren gebaut.
Bolliers Brief – entscheidendes Beweismaterial in einer internationalen Terrorismusermittlung – hatte fast zwei Jahre lang ungelesen herumgelegen.
Marquise wusste aus bitterer Erfahrung, wie oft das FBI keine Ahnung hatte, was in den eigenen Akten stand. Das Bureau war eine Pyramide aus Papier, und daran änderte sich bis ins 21. Jahrhundert wenig. Als Marquise von 1986 bis 1988 das Terrorism Research and Analytical Center (Zentrum für Terrorismusforschung und -analyse) leitete, hatte das Bureau die Datenbank Terrorist Information System aufgebaut. Das System war »vollkommen unbrauchbar«, sagte er. »Man brauchte alle Zeit der Welt, um Dinge einzugeben, und konnte nichts abrufen […] Da hieß es dann bei wahrscheinlich 95 Prozent der großen Fälle im Bureau ›No record‹, kein Eintrag. Wir versuchten jahrelang, es den Leuten zu verkaufen, aber es war einfach nicht benutzerfreundlich. Es war eine großartige Idee, die nicht funktionierte.«
»Wir würden die Strafverfolgung einleiten«
Anfang 1991 hatte Marquise in groben Umrissen eine Anklage aufgrund von Indizienbeweisen gegen Gaddafi und Libyen beisammen. Er merkte, wie Schwung in die Sache kam.
»Wir haben FBI-Agenten, die mit schottischen Polizisten zusammenarbeiten oder sich mit maltesischen Polizisten zusammentun und Hinweisen in Malta nachgehen und an einem Strang ziehen«, sagte er. »Wir tauschen unglaublich viele Informationen aus. Wir können mit den Namen libyscher Geheimdienstoffiziere aufwarten. Und einer von ihnen ist ein gewisser Abdel Baset Ali al Megrahi.«
Ein Ladeninhaber auf Malta identifizierte Megrahi auf einem Foto als den Käufer der Kleidungsstücke, die am Tatort in Lockerbie gefunden worden waren. Unterlagen der Einreisebehörde zeigten, dass Megrahi am Tag des Kaufs auf Malta gewesen war. Als im Februar 1991 der Golfkrieg tobte, lud das FBI Edwin Bollier zu einer einwöchigen Befragung vor. Zögernd identifizierte er Megrahi als den libyschen Chef einer Scheinfirma, die in Zürich mit Mebo Geschäfte machte.
»Ich bin ziemlich aufgeregt«, sagte Marquise. »Alle sind ziemlich aufgeregt.« Er informierte Robert Mueller, der ihn nüchtern daran erinnerte, dass noch viel zu tun war.
Marquise musste Informationen in Beweise verwandeln. Er brauchte einen Zeugen, der Megrahi mit dem Samsonite-Koffer in Verbindung brachte, in dem der Plastiksprengstoff gewesen war. Und er musste jemanden finden, der wusste, dass der Koffer die Bombe vom Air-Malta-Flug 180 zum Pan-Am-Flug 103 transportiert hatte. Wieder wandte er sich an die CIA. Mit einiger Verspätung teilten ihm die CIA-Leute mit, sie hätten einmal am internationalen Flughafen von Malta einen libyschen Informanten namens Abdul Madschid Giaka gehabt. Er war vier Monate vor Lockerbie CIA-Zuträger geworden und war es immer noch, als die Pan-Am-Maschine explodierte. Aber die CIA hatte ihn ein paar Monate später fallenlassen, weil sie glaubte, er erfinde Geschichten, um seine Verbindungsleute auszunehmen.
Marquise hätte für sein Leben gern mit Madschid gesprochen, ganz gleich wie dubios er der CIA erscheinen mochte. Im Juni 1991 holte ihn die CIA von
Weitere Kostenlose Bücher