FBI: Die wahre Geschichte einer legendären Organisation (German Edition)
einem Schiff der US-Marine vor der maltesischen Küste und flog ihn nach Virginia, wo ihn das FBI verhören konnte. Die CIA-Agenten, die ihrem Informanten nicht trauten, stellten eine Bedingung: Niemand darf es erfahren.
Marquise wog das Pro und Contra ab, dann brach er die Abmachung und rief seinen schottischen Kollegen an. »Wenn Sie jemandem davon erzählen, werde ich gefeuert«, erklärte er Stuart Henderson. »Der Mann ist in den Vereinigten Staaten. Wir glauben, er könnte einiges wissen, sind aber nicht sicher. Wir fangen morgen an, ihn zu befragen.‹«
Madschid wurde im September 1991 mindestens zwei Wochen lang eingehend befragt. Er gab an, dreierlei zu wissen: Megrahi identifizierte er als Geheimdienstmann, der bei der libyschen Fluggesellschaft als Sicherheitschef arbeite. Megrahis Untergebener in Malta habe ein Geheimlager mit Semtex-Sprengstoff gehabt. Und er habe Megrahi in den Wochen vor dem Lockerbie-Anschlag am Flughafen von Malta mit einem großen braunen Koffer gesehen. Zweifellos war Madschid ein unzuverlässiger Zeuge. Aber das FBI vertraute darauf, dass er in diesen drei Punkten die Wahrheit sagte. Marquise meinte, er habe Material für eine Klage, die vor Gericht bestehen konnte.
Es lief auf die Frage hinaus: Gerichtsprozess oder Krieg. Die Entscheidung lag beim Präsidenten.
Die Vereinigten Staaten konnten versuchen, Megrahi zu entführen; die Festnahme von Terroristen im Ausland war zuvor schon gelungen. Ihn aber in Libyen zu fassen überschritt die Möglichkeiten der CIA und des Militärs. Man konnte versuchen, ihn zu töten. Das kam damals aus Gewissensgründen nicht in Frage: Kurz vor Lockerbie hatte Israel ein Team von Auftragsmördern nach Tunis geschickt, um Abu Dschihad zu töten, den zweiten Mann in der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO, und die Vereinigten Staaten hatten dies öffentlich als politisches Attentat verurteilt.
Der Präsident konnte Libyen mit Bomben und Raketen angreifen. Fünf Jahre zuvor hatte Reagan Gaddafi nach dem Anschlag libyscher Spione auf die Diskothek La Belle in Berlin angegriffen und zur Rechtfertigung das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen angeführt. Aber damals war das Beweismaterial hieb- und stichfest gewesen. Der Fall Lockerbie verlangte nun ebensolche Beweise.
Präsident George Bush senior hielt Terroristen für Verbrecher und nicht für feindliche Kombattanten. Er entschied sich dafür, vor Gericht zu ziehen. Mueller pflichtete ihm energisch bei. Man würde den Weg beschreiten, den das Recht eröffnete. Marquise sagte dazu: »Wir würden die Strafverfolgung einleiten und der Weltöffentlichkeit die Ergebnisse vorlegen.«
Megrahi wurde am 15. November 1991 in den Vereinigten Staaten und in Schottland angeklagt. Es dauerte fast zehn Jahre, bis er verurteilt wurde. Nach weiteren zehn Jahren stand zweifelsfrei fest, dass Oberst Gaddafi persönlich den Bombenanschlag auf die Pan-Am-Maschine als mitleidlose Vergeltungstat gegen die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich angeordnet hatte. Der Kreis von Rache und Vergeltung schloss sich, als ein amerikanisches Predator-Aufklärungsflugzeug den Feinden des Oberst half, ihn aufzuspüren, ehe sie ihn, 23 Jahre nach Lockerbie, töteten. [581]
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Der blinde Scheich
In derselben Woche, als im Fall des Pan-Am-Flugs 103 Anklage erhoben wurde, kam am Strafgerichtshof in Manhattan ein Mordfall zur Verhandlung. Angeklagt war El-Sayyid Nosair, ein ägyptischer Einwanderer, der, ganz in Weiß, ein Scheitelkäppchen und ein langes Gewand trug. Er war Anhänger eines heiligen Kriegers, des sogenannten blinden Scheichs Omar Abdel Rahman, und wurde beschuldigt, Meir Kahane getötet zu haben, den Führer der Jewish Defense League, die später vom Staat Israel als Terrororganisation bezeichnet wurde.
Im Publikum saß Emad Salem, ein kahlköpfiger, bärtiger Veteran der ägyptischen Armee, der für 500 Dollar die Woche als FBI-Informant arbeitete. Salem mischte sich unter die Verbündeten des Angeklagten, plauderte in den Pausen auf dem Korridor mit ihnen und erfuhr einiges über ihr Leben.
Salem, ein einnehmender Mensch, war im Woodward Hotel in Midtown Manhattan Hausdetektiv gewesen, als Nancy Floyd, eine Spionageabwehragentin des FBI, ihn im April 1991 ansprach. Floyd erklärte ihm, in dem Hotel stiegen immer wieder mutmaßliche russische Spione ab. Ob er ihr helfen könne, sie im Auge zu behalten?
Salem erwiderte unumwunden: Wen interessieren
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