FBI: Die wahre Geschichte einer legendären Organisation (German Edition)
schon der Kalte Krieg und die Russen? Ich kann Ihnen vom heiligen Krieg und dem blinden Scheich erzählen.
Agentin Floyd hatte noch nie vom blinden Scheich gehört. Das hatten die wenigsten. Aber sie mochte Salem, der ein sympathischer Kerl war, und sie gab ihm einen Vertrauensvorschuss. Sie warb ihn als Informanten an und stellte ihn ihrem FBI-Kollegen John Anticev vor, der seit vier Jahren beim FBI war und bei der Joint Terrorism Task Force, der gemeinsamen Antiterror-Einsatzgruppe, in New York arbeitete.
Anticev interessierte sich brennend für El-Sayyid Nosair. Das FBI hatte einige seiner Genossen beim Zielscheibenschießen mit halbautomatischen Waffen und paramilitärischen Übungen fotografiert. Aber im Mordfall Kahane sah das FBI keine Verbindung zum Terrorismus, und auch die Rolle, die der blinde Scheich dabei spielte, blieb im Dunkeln. Die Task Force hatte nach Nosairs Verhaftung 47 Kartons Beweismaterial aus seiner Wohnung sichergestellt und das Material eingelagert. In einer der Kisten war Nosairs auf Arabisch verfasstes Tagebuch mit seinen Aufrufen zum heiligen Krieg und ausführlichen Erörterungen von Plänen für einen Anschlag auf New York, um »die Gebäude ihrer zivilisatorischen Säulen zu zerstören […] und ihre hohen Weltgebäude, auf die sie stolz sind«. [582]
Das Tagebuch blieb drei Jahre lang unbeachtet. Damals hatte das FBI nur einen Übersetzer, der des Arabischen mächtig war. »Wenn es vernünftig übersetzt, bearbeitet, beglaubigt und analysiert worden wäre«, sagte Buck Revell später aus, hätte das FBI eine unmittelbare Verbindung »zwischen dem Mörder Meir Kahanes und der Gruppe [gesehen], die konspirierte und schließlich den Bombenanschlag auf das World Trade Center verübte«. [583]
Wer konnte sich vorstellen, dass der Geist der Anarchisten, die gegen Ende des Ersten Weltkriegs an der Wall Street und in Washington Bombenanschläge verübt hatten, wiederauferstanden war? Wer hätte vermutet, dass sich der Zorn der Islamisten, der die Sowjetarmee aus Afghanistan vertrieben hatte, gegen Amerika richten würde? Wer hätte gedacht, dass dem Bureau eine weitere Schlacht im alten Konflikt zwischen Christen und Muslimen bevorstand? All das überstieg im Frühjahr 1991 jede Vorstellungskraft. Die Ermittlungen der Terrorbekämpfer beim FBI, die in jenen Monaten begannen, richteten sich vor allem gegen kleine rechtsgerichtete Gruppen – die Los Angeles Area Skinheads, die Aryan Women’s League, die Texas Reserve Militia –, deren Anhänger eher dazu angetan waren, sich selbst zu schädigen, als den Frieden und die Sicherheit der Vereinigten Staaten zu bedrohen.
»Wir haben uns ziemlich gut gefühlt«, sagte Buck Revell über diese Zeit. »Der Kalte Krieg war vorbei, wir glaubten, unsere Seite hätte gewonnen, der Kommunismus in den USA und die ihm nahestehenden Organisationen existierten praktisch nicht mehr. Der Kommunismus als Weltbewegung war weitgehend in Verruf geraten. In den Vereinigten Staaten hatten wir den Terrorismus im Griff, und auch weltweit war er auf dem Rückzug […] Alles in allem hatten wir angesichts der Terrorismusbedrohung trotz der vielen Probleme, die sich immer wieder stellten, unsere Sache gut gemacht.« [584]
Emad Salem eröffnete dem FBI einen Blick in die Zukunft. Das FBI war auf diese nicht vorbereitet.
»Die Erde unter ihren Füßen beben lassen«
Salem verfolgte den Mordprozess gegen Nosair, der am 4. November 1991 begann, und er freundete sich rasch mit den Unterstützern des Angeklagten an. Sie waren begeistert, als die Geschworenen nicht einig wurden. Es stand außer Frage, dass Nosair Kahane getötet hatte. Dennoch wurde er nur wegen Waffenbesitz und Körperverletzung verurteilt. Bei der Urteilsverkündung sagte der Richter, die Geschworenen seien wohl nicht bei Sinnen gewesen. Dann verhängte er die Höchststrafe von 22 Jahren Haft gegen Nosair und erklärte: »Ich meine, der Angeklagte hat sich einer Vergewaltigung dieses Landes, unserer Verfassung, unserer Gesetze sowie der Menschen schuldig gemacht, die sich um ein friedliches Zusammenleben bemühen.« [585]
Salem besuchte Nosair im berüchtigten Attica State Prison; die lange Fahrt ins Hinterland machte er mit Leuten aus dem Umfeld des Scheichs. Bald hörte er mit, wie sie Bombenanschläge gegen die Symbole amerikanischer Macht planten. Salem lernte den Scheich kennen, den geistigen Urheber des Plans, und er hörte aus erster Hand von dem Vorhaben, den Dschihad
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