FBI: Die wahre Geschichte einer legendären Organisation (German Edition)
Justizminister immer wieder auf diese Bedrohung hinzuweisen. Daugherty bedurfte keiner Überzeugung. »Sowjetrussland ist der Feind der Menschheit«, erklärte er. »Sie sind ausgezogen, nicht nur Amerika, sondern die ganze Welt zu erobern.« [82]
Im Frühjahr und Sommer 1921 spionierten dutzende Agenten des Bureau unter Hoovers Kommando mutmaßliche Kommunisten im ganzen Land aus. Sie unterwanderten ihre Treffen und drangen in ihre Zentralen ein. [83] Als Agenten des Bureau und das New Yorker Bombenkommando eine Wohnung in der Bleecker Street stürmten und Mitgliedslisten, interne Akten und verschlüsselte Kommuniqués konfiszierten, fanden sie darunter eine Druckschrift mit dem Titel: »Regeln für die Parteiarbeit im Untergrund.«
Die Regeln sagten alles:
Du darfst unter keinen Umständen die Parteiarbeit und die Parteiarbeiter verraten.
Du darfst keine Namen oder Adressen bei dir tragen oder aufbewahren, außer wenn sie gut verschlüsselt sind.
Du darfst keine belastenden Unterlagen oder belastende Literatur offen in deiner Wohnung aufbewahren.
Du darfst bei der Parteiarbeit keine unnötigen Risiken eingehen.
Du darfst die Parteiarbeit nicht wegen der damit verbundenen Risiken meiden.
Du darfst nicht damit prahlen, was du für die Partei leistest oder geleistet hast.
Du darfst die Mitgliedschaft in der Partei nicht unnötig preisgeben.
Du darfst dich nicht von Spitzeln zu Verabredungen oder Versammlungen verfolgen lassen.
Du darfst bei Gefahr nicht die Nerven verlieren.
Du darfst bei einer Verhaftung keine Fragen beantworten.
Zum Schluss noch die Empfehlung: »Du musst die Verhaftung mit allen Mitteln vermeiden.« [84] Das war ein bisschen viel verlangt von Amerikas Top-Kommunisten. Fast alle Männer, die in den kommenden 40 Jahren der Kommunistischen Partei vorstehen sollten, saßen zwischen 1918 und 1923 wegen ihrer politischen Arbeit zeitweise im Gefängnis. Nur wenigen gelang es, mehr als ein paar Monate weder Polizisten noch Richter, noch Gefängniszellen zu Gesicht zu bekommen – wobei ihnen unweigerlich Konspiration oder Aufwiegelung zur Last gelegt wurde.
»Spitzel arbeiten jeden Tag in jeder Stadt daran, unsere Mitglieder, Versammlungen und Arbeitsstätten auszuspionieren«, warnte die Druckschrift in der Bleecker Street. Die Kommunisten glaubten, unter permanenter Überwachung durch die Regierung zu stehen, ob sie nun offen operierten oder im Untergrund.
Einer der Spitzel des Bureau nahm an der im Mai 1921 im Overlook Mountain Hotel in Woodstock abgehaltenen »Unity Convention of Communist Parties« teil – einem geheimen viertägigen Treffen der zerstrittenen kommunistischen Spitzen aus ganz Amerika. FBI-Dokumente, die im August 2011 freigegeben wurden, legen nahe, dass der Spitzel Clarence Hathaway war, ein Gründungsmitglied der Kommunistischen Partei Amerikas, und dass dieser von Anfang an für das Bureau arbeitete. [85] Im Bericht des Bureau über das Treffen in Woodstock hieß es, Moskau habe den amerikanischen Kommunisten 50000 Dollar geschickt sowie die Order, ihre Streitigkeiten beizulegen und sich zu vereinigen. [86]
Die Sowjets drängten die amerikanischen Kommunisten, den Untergrund zu verlassen und einen offenen Kampf um die Macht zu führen. Das war schwer vorstellbar. »Die Kommunistische Partei ist in den Vereinigten Staaten definitiv eine ungesetzliche Organisation«, schrieb der Gründungsvater Charles Ruthenberg in jenem Sommer aus dem Hochsicherheitsgefängnis Sing-Sing, wo er eine Haftstrafe wegen krimineller Anarchie absaß. Wenn die Partei im Untergrund bleibe, werde sie langsam eingehen. Wenn sie sich an die Oberfläche wage, werde sie angegriffen und zerrieben. Sie müsse deshalb zweigleisig fahren, so argumentierte er – »einesteils vor den Augen der Öffentlichkeit agieren, andernteils unerkannt, geheim, im Untergrund«. [87]
Der Spitzel des Bureau in Woodstock berichtete ferner, dass der amerikanische Gewerkschafter William Z. Foster, der zwei Jahre zuvor versucht hatte, einen landesweiten Stahlstreik zu organisieren, eine Reise nach Moskau plane. Der Bericht entsprach den Tatsachen. Foster besuchte im Juni und Juli 1921 Versammlungen der Komintern und den World Congress of Revolutionary Trade Unions, den Weltkongress der revolutionären Gewerkschaften, in Moskau. Von Lenin, den er dort traf, war er fasziniert. Bei seiner Rückkehr nach Chicago war er ein ergebener Sowjetagent und für die Komintern der wichtigste Kontaktmann zu den
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