Fear
Alise wollte protestieren, doch Joe hob eine Hand, um sie zu beschwichtigen. »Ich will mehr über Derek Cadwell wissen. Niemand sonst scheint von dem Gerücht gehört zu haben, das Sie erwähnten.«
Sie zog sich in sich selbst zurück. Er konnte Schmerz in ihren Augen sehen. Und Schuldgefühle.
»Bitte«, sagte er. »Wenn Sie wirklich etwas wissen, dann sagen Sie mir, wie Sie es herausgefunden haben.«
»Sie erinnern sich an den Mann, den wir im Café gesehen haben? Ben?«
»Er hat Ihnen von dem Geheimnis erzählt?« Joe erinnerte sich an den finsteren Blick, mit dem der Mann Alise fixiert hatte.
»Ja. Er war eines Abends in dem Bestattungsinstitut. Cadwell dachte, er wäre schon gegangen. Da war die Leiche von … einem jungen Mädchen.« Alise schüttelte sich. »Cadwell hat … sich ausgezogen.«
»Und Leon hat es gefilmt?«
»Später Ben hat von einer Kamera gehört, die in dem Raum versteckt war. Leon wusste, das ist wertvolle Information, aber nur, solange es keine Gerüchte gibt, denn dann ist Cadwells Geschäft ruiniert. Es wird streng geheim gehalten.«
»Und wie kam es dann, dass Ben Ihnen davon erzählt hat?«
Sie schloss die Augen und schlug sie eine Sekunde später wieder auf – ein demonstratives Zwinkern, das besagte: Überleg doch selbst.
Und dann begriff er. »Oh, Alise. Es tut mir leid.«
Sie schüttelte trotzig den Kopf. »Warum? Es ist meine Entscheidung, meine Schande. Für Kamila bin ich zur Hure geworden.« Ein leises Schluchzen entrang sich ihrer Kehle.
»Das sind Sie nicht.«
Alise zuckte mit den Achseln. »Es ist mir egal. Um Leon zu stoppen, ich würde alles tun.«
Zum ersten Mal hatte sie offen ausgesprochen, dass es ihr um mehr ging als nur darum herauszufinden, was mit ihrer Schwester passiert war. Unter den Umständen war das nur allzu verständlich.
»Ich kann Sie gut verstehen, aber ganz so einfach ist es nicht.«
»Das sagen Sie mir? Glauben Sie, ich weiß das nicht?« Sie schüttelte angewidert den Kopf. »Die Polizei will nicht zuhören, also müssen wir etwas anderes tun.«
»Was?«
»Ihn töten.«
Joe blickte sich automatisch um, doch die anderen Cafégäste schienen sich nicht für sie zu interessieren. Als er sich wieder Alise zuwandte, betrachtete sie ihn eingehend, ein verständnisvolles Lächeln auf den Lippen. Doch hinter dem Lächeln sah er eiserne Entschlossenheit.
»Wenn Sie nein sagen – ich verstehe. Ich mache es selbst. Ich warte, bis ich kräftiger bin, und dann ich bringe ihn um.«
»Weswegen sind Sie hier?«, fragte Morton. Er fläzte sich mit gespreizten Beinen auf seinem Stuhl, wie um zu demonstrieren, wie wütend er sein konnte, wenn er entspannt war.
»Wir wollen ein Geschäft vorschlagen«, meldete sich Fenton.
»Nicht der Affe. Der Leierkastenmann soll reden.« Morton spie die Worte aus und starrte Leon dabei durchdringend an.
»Wir wollen einen Deal mit Ihnen machen.«
»Was für einen Deal?«
Wieder geriet Leon ins Stocken. Wenn er von Anfang an zu vorsichtig agierte, würde das nach Schwäche aussehen und Verdacht erregen. Aber wenn er die Karten gleich auf den Tisch legte, hätte er danach nichts mehr in der Hand.
»Ich werde nicht in die Details gehen, solange ich nicht weiß, ob wir Ihnen vertrauen können.«
Morton lachte. »Wie kommen Sie darauf, dass ich an einem Deal mit Ihnen interessiert sein könnte?« Er schwang einen Fuß auf den Tisch und ließ den Absatz auf den Zeitungsartikel knallen. »Hier steht, dass Sie eine blitzsaubere Weste haben. Offenbar kriechen Sie reihenweise Polizisten und Politikern und Schreiberlingen in den Arsch.«
Leon schüttelte den Kopf. »Ignorieren Sie, was da steht. Das hat nichts mit diesem Treffen zu tun. Ich wusste nicht einmal von der Veröffentlichung.«
»Sie wussten nichts davon – oder vielleicht hatten Sie gedacht, ich würde den Artikel nicht sehen«, höhnte Morton. »So oder so haben Sie einen ziemlichen Bock geschossen.«
Die Männer links und rechts von ihm kicherten über die Bemerkung. Sogar die Frau, die sich in den hinteren Teil des Raums zurückgezogen hatte, drehte sich um und lächelte. Leon wandte sich angewidert ab und ertappte Glenn dabei, wie er sie lüstern beäugte.
»Der Artikel ist Blödsinn«, sagte er zu Morton. »Aber er hält mir die Polizei vom Leib.«
»Eine bewusste Strategie unsererseits«, bestätigte Fenton. »Was immer Ihre Bedenken sein mögen, bitte glauben Sie uns, dass wir Ihnen nichts vormachen. Wir haben Ihnen ein sehr wertvolles
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