Fear
konnte das stete Tropfen des Wassers in den Regenrinnen hören, das ferne Rauschen der Brandung. Streifen von bläulichen und grauen Wolken überzogen den Himmel, sanft schimmernd, als würden sie von unten angestrahlt. Der abziehende Regen war nur noch ein gelblicher Dunstvorhang am Horizont.
Er dachte an Ryan, dem das trockene Wetter sicher willkommen gewesen wäre, damit er das Haus in Clifton Village fertig streichen konnte. Joe merkte plötzlich, wie sehr ihm die Arbeit mit dem jungen Unternehmer fehlen würde.
Apropos Arbeit – arbeitslos war er ja nun auch. Er zählte sein Geld: noch etwas über fünfundfünfzig Pfund. Damit würde er nicht weit kommen.
Als er ins Bad ging, stellte er erleichtert fest, dass seine Unterhose auf dem Heizkörper inzwischen trocken war. Er zog seine eigene Jeans an, dazu eines der T-Shirts, die Diana ihm geliehen hatte, und trat hinaus auf den Flur. Es war halb acht – nicht zu früh zum Aufstehen.
Als er die Treppe hinunterging, hörte er von unten Geräusche. Eine Unterhaltung zwischen einem Mann und einer Frau.
Am Abend hatte Diana ihm kurz die Räumlichkeiten im ersten Stock beschrieben. Es gab vier Gästezimmer, zwei davon mit eigenem Bad. Dianas eigenes Schlafzimmer und Bad befanden sich am Ende des Flurs, abgetrennt durch eine gläserne Zwischenwand und eine Tür mit der Aufschrift »Privat«.
Ein Fenster am Treppenabsatz ging auf den Vorgarten und den Parkplatz hinaus. Als Joe hinausschaute, sah er einen dunkelblauen Toyota Hilux in der Einfahrt stehen, quer über drei Stellplätze geparkt. Direkt dahinter stocherte ein junger Mann in Jeans und Kapuzenshirt gelangweilt mit der Schuhspitze in einem Büschel Pampasgras, während er eine Zigarette rauchte.
Nach ein paar Sekunden drehte er sich um und spähte mit zusammengekniffenen Augen zum Haus. Sein Gesicht war hager, seine Miene mürrisch und instinktiv feindselig. Der Mann nahm Blickkontakt mit Joe auf, dann wandte er sich ab und spuckte demonstrativ ins Blumenbeet. Joe war sich sicher, dass das ihm galt.
Gleich darauf fiel irgendwo im Erdgeschoss eine Tür ins Schloss, und Dianas frühmorgendlicher Besucher kam um die Hausecke geschlendert. Er war gut zwanzig Jahre älter als sein Begleiter: Anfang vierzig, groß und stämmig, mit harten, kantigen Gesichtszügen. Er trug einen gut geschnittenen grauen Anzug, ein kragenloses Hemd und braune Lederschuhe. Sein dichtes schwarzes Haar war ein wenig zerzaust und gerade eben lang genug, um ihm ein etwas unkonventionelles Aussehen zu verleihen.
An dem Pick-up angekommen öffnete er die Fahrertür und hielt inne, während der jüngere Mann seine Zigarette wegwarf und etwas sagte, wobei er mit dem Kopf zum Haus deutete. Beide drehten sich zum Flurfenster um, genau in dem Moment, als Joe in Deckung ging.
Er dachte an Roy Bamber, als er hörte, wie die Wagentüren zugeschlagen wurden und der Toyota davonfuhr. Als Sergeant mit achtzehn Dienstjahren auf dem Buckel hatte Roy den blutigen Anfänger Joe unter seine Fittiche genommen. Zu jener Zeit war Joe noch der festen Überzeugung gewesen, dass vorschnelle Urteile über andere Menschen oft ungerecht seien, manchmal borniert und von allerlei vorgefertigten Annahmen geprägt. Doch er hatte sehr schnell gelernt, dass in Roys Fall diese spontanen Einschätzungen in der Regel den Nagel auf den Kopf trafen.
Nicht die Art Leute, die du dir gerne ins Haus holen würdest , hätte Roy wohl über diese beiden gesagt. Oder, um es kurz und bündig zusammenzufassen: Die bedeuten Ärger .
Diana war in der Küche, wo sie gerade einen Teller und einen Kaffeebecher in die Spülmaschine stellte. In der Diele hatte Joe die Daily Mail auf der Fußmatte gefunden. Jetzt hielt er Diana die Zeitung hin, als sie sich umdrehte, um ihn zu begrüßen. Sie lächelte ein ganz klein wenig verlegen.
»Morgen! Oh, die kannst du gerne lesen. Ich schau da kaum rein.«
»Kann ich dir nicht verdenken. Dieses ewige Geschrei von wegen ›Es geht alles den Bach runter‹.«
»Da hast du wohl recht. Ich abonniere sie nur wegen des Fernsehprogramms und der Klatschseiten.«
Joe ging zum Tisch, wo Diana schon einen Krug mit Orangensaft und zwei Gläser hingestellt hatte. Er überlegte, ob er sie nach ihrem Besucher fragen sollte, wollte ihr aber nicht das Gefühl geben, dass er sie ausspionierte. Besser, er wartete ab, ob sie das Thema von sich aus ansprechen würde.
»Ein warmes Frühstück?«
Er zögerte. »Es kommt mir mehr und mehr so vor, als ob ich dir
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