Fear
Drohung aus, jedoch so leise, dass Joe nichts verstehen konnte.
Er musste seinen Griff etwas gelockert haben, denn der Frau gelang es, nach Luft zu schnappen. »Mr Cadwell, bitte. Ich flehe Sie an …«
»Ich kann es nicht mehr hören. Die blöde Schlampe interessiert mich nicht …«
»Kamila. Ihr Name ist Kamila. Bitte …«
Joe trat einen Schritt vor und hielt dann inne. Es war nicht nötig, dass er sich einmischte. Er war keine zehn Meter entfernt; nahe genug, um eingreifen zu können, wenn er den Eindruck hatte, dass die Frau ernstlich in Gefahr war.
Der Wortwechsel wurde durch das Geräusch eines herannahenden Fahrzeugs unterbrochen. Ein Lieferwagen sauste an Joe vorbei und hielt mit quietschenden Reifen neben dem Daimler. Es war ein Ford Transit mit einem Logo, das Joe inzwischen vertraut war: die Buchstaben LRS in Weiß auf einer blauen Raute.
Der Bestatter Cadwell ließ die Frau los. Sie drehte sich von ihm weg und hielt sich am Dach des Leichenwagens fest, während sie hustete und würgte. Cadwell trat einen Schritt zurück und strich seinen Anzug glatt. Ein sprödes, selbstgefälliges Lächeln spielte um seine Lippen, als er sich anschickte, die Neuankömmlinge zu begrüßen.
Zwei Männer stiegen aus dem Transit. Der eine war um die dreißig, untersetzt, mit kurz geschorenen, fast grauen Haaren; der andere war jünger und schlanker und hatte dunkle Locken. Sie trugen die typischen Security-Uniformen: marineblaue Blousons und graue Hosen mit schweren Einsatzgürteln. Beide nickten Cadwell zur Begrüßung zu, der jedoch nur den Untersetzten zu beachten schien.
»Morgen, Reece. Schön, Sie zu sehen.«
»Was hat sie diesmal angestellt?«, fragte der Angesprochene. Im Gegensatz zu Cadwell sprach er mit breitem regionalem Akzent.
»Noch mehr lächerliche Anschuldigungen«, erwiderte der Bestatter. Dann murmelte er noch etwas, worauf Reece angewidert das Gesicht verzog.
Inzwischen war die junge Frau auf die Knie gesunken und schluchzte leise, eine Hand vor das Gesicht geschlagen. Der Wachmann mit den lockigen Haaren bückte sich und fasste ihren Arm. Zuerst dachte Joe, er sei um ihr Wohlergehen besorgt, doch dann packte er fester zu und zog sie gewaltsam hoch. Sie schrie.
Joe konnte nicht länger zusehen. Sein Körper traf die Entscheidung für ihn und ließ ihn auf den Gehsteig springen, ehe sein Verstand nachkommen konnte.
»Lassen Sie sie in Ruhe!«
Cadwell und die beiden Wachmänner fuhren herum und starrten ihn an. Auch die Frau blickte sich um; sie wirkte eher verwirrt als dankbar.
»Dieser Mann hat sie gerade angegriffen«, sagte Joe und deutete auf den Bestatter.
Reece reckte das Kinn. »Was ist los?«
»Ich war Zeuge eines tätlichen Übergriffs. Er hat sie an der Kehle gepackt.«
Die Art, wie Reece nickte, gab Joe deutlich zu verstehen, dass die Sache ihn nicht im Geringsten interessierte. Er wandte sich Cadwell zu, der sagte: »Sie hat mir aufgelauert, als ich aus dem Haus kam. Hat mir wieder in den Ohren gelegen mit diesem verfluchten Mädchen …«
»Sie ist meine Schwester!«, rief die junge Frau. Ihr Gesicht war verquollen, schwarze Mascara-Streifen zogen sich über die Wangen.
»Ich habe ein Recht darauf, mich unbehelligt in dieser Stadt zu bewegen«, erklärte Cadwell. Bei Tageslicht wirkte seine Haut noch unnatürlicher glatt und rosig. Seine Augen waren groß und hell, beinahe farblos.
Reece wechselte einen Blick mit seinem Kollegen und stieß dann die Frau weg.
»Hau ab«, sagte er zu ihr. »Und wehe, wir erwischen dich hier noch einmal!«
Sie hielt den Kopf gesenkt, während sie offenbar die Situation taxierte. Dann schniefte sie noch einmal laut, wie als Ersatz für eine ausgesuchte Beleidigung zum Abschied, und marschierte davon.
»Sie können sich auch verpissen«, sagte Reece zu Joe.
»Was?«
»Bevor ich’s mir anders überlege.«
»Sie sind zur Festnahme befugt, ja?«
»Klar. Nennt sich Jedermann-Festnahmerecht.« Er trat einen Schritt auf Joe zu. »Sollen wir’s Ihnen beweisen?«
Joe zuckte mit den Achseln. Die Stimme des gesunden Menschenverstands sagte ihm, dass er sich zerknirscht geben und sich so diskret wie möglich aus der Situation herausziehen sollte, solange er noch seine Anonymität wahren konnte. Es war ja nichts wirklich Schlimmes passiert.
Ein guter Rat – aber dann hörte er sich selbst sagen: »Na los, versuchen Sie’s doch.«
Reece sah seinen Kollegen an, der nur erwartungsvoll grinste, und wandte sich dann Cadwell zu. Der Bestatter
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