Fee und der Schlangenkrieger
lief zu den Abhängen am Rande des Dorfes und kletterte zwischen den Bäumen so weit es ging hinab. Dann brach der Fels steil ab, weiter konnte sie nicht. Lange Zeit saß sie dort auf dem Felsen und starrte die Birke vor sich an. Sie musste allein sein. Am schlimmsten war, dass sie begonnen hatte, Lenyal zu mögen. Er hatte ihr leid getan in seinem Schmerz. Seine Frau war ermordet worden und sie hatte gefühlt, wie einsam und traurig er war. Er hatte nichts außer dem Gedanken an Rache. Dann hatten sie begonnen miteinander zu sprechen. Sie hatte reiten gelernt. Sie hatte tatsächlich gedacht, dass er ein Mensch war, der heilen wollte. Hatte er nicht gesagt, er wolle wieder leben? Sie war dumm gewesen, ihm zu glauben. Hass war in seinem Herzen, Hass und eiskalte Berechnung. Er war ein skrupelloser Menschenhändler, der sie gezwungen hatte, ihre Freunde zu verraten. Wenn sie nicht so fassungslos gewesen wäre, hätte sie vielleicht geweint. Aber sie war einfach nur entsetzt.
Es war dunkel, als Fee zurück ins Dorf kletterte. Sie fror schrecklich, aber sie war absichtlich so lang draußen geblieben, wie sie es hatte aushalten können, in der Hoffnung, dass dann im Haus alle schon schliefen. Sie wollte wirklich mit niemandem sprechen. Doch als sie zitternd die Tür hinter sich zuzog und am verlöschenden Feuer niederkniete, bemerkte sie, dass Lenyal in der Dunkelheit auf sie gewartet hatte.
„Hast du gedacht, ich hau ab?“, fragte sie gereizt.
„Ich wollte eine Sache klarstellen, Hannaj“, antwortete Lenyal. Er saß mit angezogenen Knien an die Wand gelehnt, die Hände locker vor den Schienbeinen gefaltet. „Ich habe mich darüber gefreut, dass wir zwei uns in der letzten Zeit besser kennen gelernt haben. Aber es scheint, dass du leider einen falschen Eindruck von mir bekommen hast.“
„Ja, so scheint es“, sagte Fee bitter. Sie legte ein Stück Holz aufs Feuer und pustete in die Asche.
„Es scheint, dass du gedacht hast, dieser Krieg sei nicht real. Ich bin überrascht von deiner Reaktion heute. Ich tue, was ich tun muss. Was hast du denn gedacht?“
Fee schüttelte den Kopf.
„Du musst keine Menschen in die Sklaverei verkaufen“, sie streckte ihre eisigen Füße dem Feuer entgegen und rieb sich die schmerzenden Finger, „du hast genug andere Güter um Handel zu treiben. Aber du hast recht, dieser Krieg kam mir nicht real vor, weil die ganze Zeit nur davon geredet wurde. Du bist viel stärker als Ning, Lenyal, du hättest diesen Krieg längst beenden und das Sonnendorf vernichten können. Warum hast du Ning nicht längst getötet?“
Die Flammen warfen einen zuckenden orangen Feuerschein auf Lenyals Gesicht. Er rührte sich nicht.
„Sei ehrlich, Lenyal. Sag mir die Wahrheit.“
Sie wollte jetzt wissen, woran sie war. Mit ihrer Menschenkenntnis war es ja offenbar nicht sehr weit her, und wenn sie sich nochmal aus Andeutungen ein Bild basteln musste und sich wieder irrte, dann wusste Fee nicht, was sie tun würde.
„Ich habe Ning noch nicht getötet“, sagte Lenyal mit seiner trügerisch sanften Stimme langsam, „weil es zu freundlich von mir gewesen wäre, ihn einfach zu töten. Das hat er nicht verdient. Ich will, dass er leidet.“ Er hob den Blick und sah sie an. „Ich habe ihm versprochen, dass ich ihm zeigen werde, was Leid ist. Und deshalb habe ich ihn nicht einfach getötet.“
„Ich erinnere mich“, flüsterte Fee und vergaß vor Entsetzen ihre Hände zu reiben, „du hast gesagt, du wirst alle töten, die ihm wichtig sind.“
„Und so habe ich gewartet.“
Fee begann zu zittern. Sie fürchtete, seine Gedanken erraten zu können.
„Du hast gewartet, bis sein Kind geboren ist“, sagte sie tonlos, „du willst Ela und das Kind töten.“
Lenyal blickte wieder ins Feuer. Er sagte nichts mehr. Fee stand auf und ging zu ihrem Alkoven hinüber. Für sie war das Feuer überflüssig. Ihr war innerlich so kalt, dass kein Feuer sie wärmen konnte.
Die ganze Nacht lag Fee wach und heulte. Sie hatte nicht wahrhaben wollen, was sie doch von Anfang an gespürt hatte: Lenyal war wahnsinnig. Der Gedanke an Rache beherrschte ihn und sein Hass kannte keine Grenze. Sie wusste jetzt, dass er vor gar nichts halt machen würde. Und sie, Fee, saß hier fest und konnte nichts tun, bis er schließlich das Sonnendorf vernichtet und all die Menschen, die sie gekannt hatte und die ihre Freunde geworden waren, getötet hatte: Monal, Slowen, die Greisinnen, Telfonal... und wenn er alle getötet
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