FEED - Viruszone
Nachmittag nichts Besseres vor«, sagte Shaun, noch immer frohgemut. Wir befanden uns auf Irwin-Gebiet. Kaum etwas macht ihn glücklicher. »Sind die Kameras an?«
»Laufen.« Ich schaute auf die Uhr. »Wir haben gute Sendequalität und mehr als genug Speicherplatz. Willst du ein bisschen angeben?«
»Das will ich doch immer.« Shaun trat zurück, bis er im richtigen Winkel vor dem verbleibenden Stall stand und die Nachmittagssonne ihn von hinten anleuchtete. Ich konnte nicht anders, als seinen Sinn für Theatralik zu bewundern. Wir würden zwei Berichte über den Tag machen – einen für seinen Teil der Website, in dem die Gefahren auf dem Gebiet des Ausbruchs hochgespielt werden würden, und einen für meinen Teil, in dem es um die menschlichen Aspekte der Tragödie gehen würde. Mein Einleitungsgeschwafel würde ich später aufnehmen, wenn ich eine bessere Vorstellung davon hatte, was vorgefallen war. Irwins verkaufen Spannung. Newsies verkaufen Nachrichten.
»Was macht er da?«, fragte Rick mit gehobenen Brauen.
»Kennst du die Videoclips von Irwins, in denen sie von den schlimmen Gefahren und den grausigen, hinterhältigen Monstern erzählen?«
»Ja.«
»Das macht er. Du kannst loslegen, Shaun!«
Darauf hatte er nur gewartet. Mit einem Mal wurde Shaun völlig locker und hatte das Lächeln im Gesicht, mit dem man Tausende T-Shirts verkaufen konnte, wischte sich das verschwitzte Haar mit einer behandschuhten Hand aus den Augen und sagte: »He, Leute. Hier war es in letzter Zeit ziemlich öde, mit all der Politik und dem Hinterzimmerzeug, für das sich nur die Hardcore-Newsfreaks interessieren. Aber heute? Heute gibt’s einen Leckerbissen. Weil wir heute nämlich das einzige Nachrichtenteam sind, das die Ryman-Ranch vor Abschluss der Dekontamination betreten darf. Ihr werdet die Flecken sehen. Ihr werdet alles mitkriegen, bis auf den Geschmack von Formalin in der Luft … « Jetzt war er voll im Fluss.
Ich gebe zu, dass ich nicht mehr hinhörte, als er in sein übliches Gelaber verfiel. Lieber schaute ich zu. Shaun hat es zu einer Wissenschaft entwickelt, sein Publikum rasend zu machen. Wenn er mit den Leuten fertig ist, dann finden sie sogar die geheimnisvolle Entdeckung einiger Kleiderflusen aufregend. Diese Fähigkeit ist durchaus beeindruckend, aber ich sehe lieber zu, wie er sich bewegt. Es ist etwas Wunderbares an der Art und Weise, wie er abgeht und sich in ein Bündel gespannter Energie verwandelt, während er beschreibt, was sein Publikum erwartet. Vielleicht ist es für ein Mädchen in meinem Alter peinlich zuzugeben, dass sie ihren Bruder nach wie vor liebt. Das ist mir egal. Ich liebe ihn, und eines Tages werde ich ihn zu Grabe tragen, und bis dahin werde ich dankbar dafür sein, dass ich ihm beim Reden zusehen darf.
»… also kommt. Wir wollen sehen, was hier wirklich an diesem kühlen Märznachmittag passiert ist.« Shaun grinste erneut, blinzelte in die Kamera und wandte sich dem Stalltor zu. Als er es erreichte, rief er: »Schnitt!«, und drehte sich zu uns um. Seine Leutseligkeit war wie weggeblasen. »Sind wir so weit?«
»Bereit«, sagte ich.
Jetzt, wo wir keine Möglichkeit mehr hatten, würdevoll umzukehren und zu sagen: »Wisst ihr was? Das hier ist ein Fall für die Behörden – die Leute, die wir dafür bezahlen , dass sie ihr Leben für Informationen aufs Spiel setzen«, folgten Rick und ich Shaun durch die Futterkammer und in den letzten der vier Ställe der Rymans.
Als Erstes schlug uns der Gestank entgegen. Der Gestank, der am Ort eines Ausbruchs herrscht, ist mit nichts anderem vergleichbar. Wissenschaftler versuchen seit Jahren herauszufinden, warum wir die Infektion noch riechen können, selbst wenn die Viren für tot und ungefährlich erklärt worden sind. Die Fakten lassen leider keinen anderen Schluss zu, als dass es sich um dieselbe Form der Wahrnehmung handelt, durch welche die Zombies sich gegenseitig erkennen können, wenn auch in abgeschwächter Form. Zombies versuchen nicht, andere Zombies zu töten, es sei denn, sie haben seit Wochen nichts gegessen, und die Lebenden nehmen wahr, wo es zu einem Ausbruch gekommen ist. Das ist wahrscheinlich eine weitere praktische Auswirkung des Umstands, dass das Virus in unseren Körpern schlummert – nicht, dass sich da jemand sicher wäre. Niemandem ist es jemals gelungen, den Geruch in Worte zu fassen, jedenfalls nicht so richtig. Es riecht nach Tod. Alles in einem will die Flucht ergreifen. Und wie die letzten
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