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immer nur Neuigkeiten und die Wahrheit weiterverbreiten, und ich wollte die Welt zu einem besseren Ort machen. Das habe ich nie auch nur eine Minute lang bereut. Bis heute. Denn diese Sache ist zu viel für mich, und sie ist zu viel für Shaun, und Himmel noch mal, ich habe Angst. Und ich bin immer noch abhängig. Ich kann noch immer nicht aufhören.
Aus Postkarten von der Klagemauer , den unveröffentlichten Dateien von Georgia Mason, 19. Juni 2040
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Bei aller Eile waren die Vorschriften zur der Grundsatzrede des Senators und der darauffolgenden Dinnerparty unglücklicherweise eindeutig: Förmliche Garderobe war Pflicht, selbst für Journalisten. Möglicherweise galt das sogar insbesondere für Journalisten – schließlich bezahlten alle anderen Anwesenden eintausendfünfhundert Dollar für das Privileg, im selben Raum mit Senator Ryman Gummihuhn zu essen, während wir durch das lästige Schlupfloch namens »Pressefreiheit« reinkamen. Würde man uns aussperren, wären wir ziemlich garstig geworden. Wenn man uns reinließ, uns verwöhnte, hätschelte und auf unseren Platz verwies, konnte man zumindest den Anschein von Kontrolle wahren. Das mag noch keinen großen Skandal daran gehindert haben, ins Rollen zu kommen, aber es hat eine Menge dazu beigetragen, die kleineren unter den Teppich zu kehren, wo sie hingehörten.
Die Mitarbeiter der Kampagne waren vorsichtig mit unserem Gepäck gewesen und hatten meine und Shauns Sachen an entgegengesetzten Enden des Trailers aufgestellt, in dem wir während unseres Aufenthalts in Sacramento wohnen würden. Unglücklicherweise war das passiert, bevor Shaun auf der Suche nach seiner eigenen Abendgarderobe wie ein Wirbelwind hindurchgefegt war. Meine Koffer waren unter einer dicken Schicht aus Shauns Klamotten, Waffen, Papierkram und anderem Zeug begraben. Ich brauchte gut zehn Minuten, um sie freizulegen, und weitere fünf, um den Koffer mit meiner eigenen Abendgarderobe zu finden. Dabei fluchte ich unentwegt auf Shaun, um mich abzulenken.
Für Männer ist förmliche Garderobe eine vernünftige Angelegenheit: Hose, Anzugjacke, Kummerbund. Selbst ein Schlips kann ganz nützlich sein, da man ihn im Notfall als Kompresse oder Würgeschlinge verwenden kann. Die förmliche Garderobe für Frauen hat sich dagegen seit dem Erwachen nicht geändert: Sie ist anscheinend nach wie vor darauf ausgelegt, uns bei der ersten sich bietenden Gelegenheit umzubringen. Scheiß drauf. Meine Garderobe war maßgefertigt. Den Rock kann ich bei Bedarf abreißen, im Oberteil ist Platz für zwei Aufzeichnungsgeräte und eine Pistole, und es gibt eine versteckte Hüfttasche für Ersatzmunition. Selbst mit all diesen Änderungen handelt es sich um das unpraktischste Kleidungsstück, das ich besitze, und die Situationen, in denen ich es tragen muss, verlangen so gut wie immer auch Strumpfhosen und hohe Absätze. Zumindest bestehen moderne Strumpfhosen aus einem praktisch unzerstörbaren Polymergewebe.
Ich würde also hohe Absätze tragen. Ich würde Strumpfhosen tragen. Ich würde sogar dunklen Lippenstift tragen, sodass ich wenigstens halbwegs geschminkt wirkte. Aber ich würde auf keinen Fall meine Kontaktlinsen einsetzen, nur um mir so schnell wie möglich den Senator und mein Team zu krallen, sie davon zu überzeugen, dass ich wichtige Neuigkeiten hatte, und sie möglichst schnell hierher zurückzukriegen. Nach wie vor fluchend zerrte ich das Halstuch, das zu dem Kleid gehörte, aus der Seitentasche meines Kleiderkoffers, klemmte mir meinen Gästeausweis links an die Brust und stürmte Richtung Fahrzeugpool aus dem Anhänger.
Steve hatte Dienst und wartete entspannt, aber einsatzbereit darauf, dass jemand per Funk Fahrzeuge oder Sicherheitskräfte anforderte. Als er mich kommen sah, nahm er Haltung an. Sein Kinn klappte herunter, als er bemerkte, wie ich angezogen war. Hinter der Sonnenbrille waren seine Augen nicht zu sehen, aber er gab sich keine Mühe zu verbergen, wie er den Kopf hob, um mein Kleid, das Tuch um meine Schultern und schließlich, mit gehobener Braue, meine Sonnenbrille zu mustern.
»Willst du wohin?«, fragte er.
»Ich wollte mich selbst zu einer Party einladen«, antwortete ich. »Würdest du mich mitnehmen?«
»Hast du nicht stattdessen deinen Bruder hingeschickt?«
»Die Lage hat sich geändert. Ich muss dringend dorthin.«
Einen Moment lang schaute Steve mich mit unnachgiebiger Miene an. Ich erwiderte seinen Blick ebenso ruhig. Wir hatten beide viel Übung darin, aber
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